Sonntag, 24. April: 150. Todestag von Missionsbischof Anastasius Hartmann

Der Kapuziner aus dem Luzerner Seetal wirkte in Indien Hervorragendes.

Unter den Schweizer Kapuzinern ragt er wie kein anderer heraus –Anastasius Hartmann, der erste Missionsbischof der Schweiz, dessen Todestag wir heuer zum 150. Mal begehen. Sein Leben ist in den Archiven des Ordens und Vatikans gut dokumentiert. Er hat in den 63 Jahren seines Lebens alleine gegen 30 000 Briefe geschrieben, als Bischof in Indien 29 Hirtenbriefe. Hier einige zentrale Aspekte seines Lebens, gewürzt mit Orginalzitaten, die mir beim Lesen der Biografien von Benno Zünd und Walbert Bühlmann aufgefallen sind.

Text Beat Baumgartner

Die Katholische Kirche galt im 19. Jahrhundert als eher rückständig, als Hüterin einer 2000-jähriger Traditionen, aber sicher nicht als ein Gebilde, das die „Zeichen der Zeit“ erkannte und an vorderster Front umsetzte.

Anastasius Hartmann war zwar ein Mann, der tief in der Theologie und Frömmigkeit des Katholizismus seiner Zeit lebte, der aber vor allem als Bischof in Indien die Zeichen der Zeit klar erkannte und ein Modell christlichen Lebens vorlebte, das bis heute nachwirkt, wie Walbert Bühlmann betont.

Ganz wichtig war für Bischof Anastasius, dass sich Glaube und Spiritualität in einer Kultur „inkulturieren“ müssen, um ihre Wirkmacht zu entfalten. Und wie geht das besser als durch das Erlernen der Sprache? Darum lernte er im Verlaufe des Lebens neben seiner Muttersprache Deutsch, Französisch, Englisch, Italienisch, Lateinisch, Urdu. Daneben verstand er Portugiesisch, Griechisch und Marathi.

So schrieb er schon im ersten Jahr der Missionserfahrung an Pater Justus in der Schweiz: „Meine eigentliche Absicht ist diese, die hindustanische Sprache (Urdu) vollkommen zu erlernen, dass ich den Musulmanen und Hindus auf öffentlicher Gasse predigen kann, aber auch, damit ich für die armen Christen die nötigen Bücher verfassen kann, einen grösseren Katechismus, ein gutes Gebetsbuch, das Neue Testament…“ Er hat später alle diese Pläne realisiert.

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Zeit seines Lebens kämpften in Anastasius Hartmanns Brust zwei Seelen: Hier eine grosse Zielstrebigkeit und Tatkraft, das was er für richtig hielt, umzusetzen. Dort das Bewusstsein, in „blindem Gehorsam“ – ein Begriff, den er selbst oft verwendete – ohne Widerrede die Entscheide seiner kirchlichen Vorgesetzten zu akzeptieren. So, als er gegen seinen Willen von den Ordensoberen von Luzern nach Freiburg als neuer Novizenmeister versetzt wurde. Oder, als 1841 die Provinzoberen zuerst dezidiert seinen Herzenswunsch ablehnten, in die Mission zu gehen. Oder als ihm Rom 1849 eröffnete, er müsse sein geliebtes Vikariat Patna verlassen, um als Apostolischer Administrator das chaotische Bombay zu leiten.

Damals schrieb er an die Propaganda Fidei: „Ich habe den Brief Ihrer Exzellenz empfangen und ihn unter einem Strom von Tränen und mit einer Erschütterung der ganzen Natur gelesen. Meine völlige Unfähigkeit für einen so schweren Auftrag, meine so notwendige Gegenwart in diesem Vikariat Patna schliesslich meine geschwächte Gesundheit, brechen mir fast den Mut und bäumen sich entschieden auf, sich vor einem solchen Auftrag zu beugen. Aber indem ich die Augen zu Christus erhebe, kann ich den blinden Gehorsam gegen den Heiligen Stuhl nicht verweigern.“ – Auch sein Wunsch von 1860, nach einem längeren Romaufenthalt seine alten Tage in einem Kloster in Amerika zu verbringen, wurde nicht erhört. Er wurde erneut ins indische Patna als Apostolischer Vikar versetzt, wo er 1866 schliesslich an Cholera starb.

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Anastasius Hartmann war zeitlebens rastlos tätig. „Im Grabe werde ich Zeit genug haben, mich auszuruhen“, pflegte er auf entsprechende Vorwürfe jeweils seinem Sekretär Anton-Maria Gachet zu erwidern.

Bischof Anastasius verfasste neben seiner pastoralen Tätigkeit zahlreiche theologische und spirituelle Schriften, gründete Schulen, Waisenheime, eine Mittelschule in Bombay und eine katholische Zeitung, schrieb täglich Briefe, engagierte sich für die weltweite Reorganisation seines Ordens und die Reform der indischen Kirche, kämpfte in Indien gegen „schismatische Tendenzen“ eines Teils der Kirche usw. (siehe Box).

Die Engländer nannten ihn „hard-man“, doch hinter dieser harten Schale befand sich ein weicher Kern und eine Persönlichkeit, die oft von grossen Selbstzweifeln und Minderwertigkeitskomplexen, der Aufgabe als Bischof nicht genügen zu können, befallen war.

Kein Wunder litt Anastasius Hartmann zeitlebens an Krankheiten, nicht zuletzt auch psychomatischer Natur (z.B. Hautausschlag). Besonders schlimm war die bakterielle Amöbenruhr, an der in seinem ersten Missionsjahr 1844 erkrankte. Diese Darmstörung plagte ihn jahraus jahrein und steigerte sich oft zu Anfällen, die ihn an den Rand des Todes brachten.

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In seinem Menschen- und Missionsverständnis war Anastasius Hartmann seiner Zeit weit voraus. Bereits als Novizenmeister in Freiburg war er ein Feind jeder mechanischen Dressur und äusseren Form der Studenten. Sie sollten aus eigenem Antrieb und ohne Zwang den inneren Menschen nach dem Vorbild Jesu anstreben. Auch an seine Missionare hatte er höchste Ansprüche: Sie sollten ein vorbildliches Leben in jeder Hinsicht führen, weil nur das „die Heiden“ überzeugen könne. „Müssen sie (die Inder, die Red.) den nicht die christliche Religion als heilig und göttlich beurteilen, wenn sie sehen, wie ihr Diener gegen die Laster auftritt, die sozialen, moralischen und übernatürlichen Tugenden fördert, sich als Diener aller erweist, als Vater der Armen, als Tröster der Betrübten, als Engel der Kranken und Sterbenden, wenn er überall Segen und Frieden verbreitet?“

Für Anastasius Hartmann wirkte „das Beispiel mehr als die Predigt“. Es ging ihm um Caritas und Seelsorge, nicht um die Bekehrung der Inder: „Was Gott von uns verlangt, ist die Sorge für die Seelen, nicht deren Bekehrung. Er sagte seinen Apostel nicht: ‚Gehet hin und bekehrte alle Völker‘, sondern ‚Lehret alle Völker‘…“

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Wir haben es schon gesehen: An sich stellte Anastasius Hartmann höchste Ansprüche, denen er oft nicht zu genügen glaubte. Er galt bereits zu seiner Zeit als sehr frommer, aber nicht als „frömmlerischer“ Bischof, sondern ein Mann der Tat und Kämpfer. Während der langwierigen Bombay-Verhandlungen weilte er eine Zeit lang in Neapel zu Exerzitien, während denen er seine tiefsten Lebensgrundsätze auf einen Zettel schrieb, die sein persönlicher Sekretär Anton-Maria Gachet nach seinem Tod fand.

Sie gleichen stark jenen des Reformpapstes Johannes XXIII, wie Walbert Bühlmann treffend bemerkt. Wir zitieren daraus auszugsweise: „ Schneller, vollkommener Gehorsam dem Heiligen Stuhl, der Heiligen Kongregation De Propaganda Fide (…) Reinheit, umzäumt von der strengen Wachsamkeit. Sowohl wenn ich allein bin als auch bei öffentlichem Auftreten Beobachtung der zartesten Regeln der Bescheidenheit. (…)Vollständige seraphische Armut in der Nahrung, Kleidung und in den Möbeln. Einhaltung der Ordensregel unseres heiligen Vaters Franziskus in ihrer ersten Reinheit und Strenge. Ich will wachen, dass meine Missionare sie ebenso beobachten…“

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Anastasius Hartmann postulierte aber nicht Mitleid gegenüber den Armen, sondern Gerechtigkeit. Er eröffnete unzählige soziale und pädagogische Institutionen. Zusammen mit den Jesuiten gründete er in Bombay die erste katholische Mittelschule Indiens, das St. Xavier’s University College, das bis heute einen exzellenten Ruf geniesst.

Während seines Europa-Aufenthaltes kämpfte er vor dem Londoner Unterhaus für die Gleichberechtigung der katholischen Kirche von Indien mit der anglikanischen. Für Bischof Anastasius war christliche Verkündigung wesensnotwendig verbunden mit der Betätigung christlichen Liebe und Gerechtigkeit. Und er glaubte zutiefst, dass Bildung die Christen, die vor allem aus den unteren Kasten kamen, dazu brachte, etwas aus ihrem Leben zu machen. Bis heute hat diese Ansicht nichts von ihrer Gültigkeit verloren.

 

Der Kampf um die Kirche von Mahim

In der Zeit, als Anastasius Hartmann apostolischer Administrator in Bombay (1849 – 1854) war, ragt ein Ereignis besonders hervor, der Kampf um die Kirche St. Michael in Mahim zwischen den Anhängern der portugiesischen „Padroada“ und jenen des Heiligen Stuhls. Schon lange schwelte in Indien und besonders auch in Bombay ein endloser Streit zwischen den Anhängern der Padroada und Rom.

Im 16. Jahrhundert hatten die Portugiesen das Recht erhalten, in ihren Kolonialgebieten Bischofssitze zu gründen und zu unterhalten, gleichzeitig aber auch die Pflicht, den katholischen Glauben zu verbreiten und Missionare zu unterhalten. Katholiken, die zu den Portugiesen hielten, wurden Goanesen genannt. Bischof Hartmann sprach darum auch vom „goanesischen Schisma“. Er versuchte immer wieder seine Mitbischöfe zu bewegen, nur die Apostolischen Vikare als rechtmässige Oberhirten anzuerkennen, um der „doppelten Jurisdiktion“ ein Ende zu bereiten.

Immer wieder kam es im Vikariat zu Streitereien darüber, ob eine Kirche/Pfarrei nun zum Apostolischen Vikariat oder zur Padroado gehörten, so auch in der Pfarrei Upper Mahim, damals geleitet vom Priester Joseph de Mello. Anfänglich hielt de Mello zu Bischof Hartmann, aber am 12. März 1853 kündigte er plötzlich an, zum von Portugal eingesetzten Erzbischof, also zur Padroada-Partei, zu wechseln.

Anastasius Hartmann begab sich darauf am Passionssonntag zur Kirche und besetzte sie, bevor der schismatische Geistliche eine Messe darin feiern konnte. Die Gegenpartei und die bestochene Polizei wollten ihn aus der Kirche vertreiben, was misslang. Anastasius Hartmann erklärte, lieber würde er sterben als die Kirche zu verlassen.

Darauf wurde die Kirche versiegelt und eine Hundertschaft von Polizisten bewachten sie Tag und Nacht. Es war ein tagelanges hin und her. Auch die 80 mit Bischof Hartmann eingeschlossenen Anhänger harrten aus, ohne Nahrung und fast ohne Wasser. Erst nach etwa einer Woche, als die Gegner des Bischofs begannen, die Kirche auszuräuchern, befreite der britische Polizeichef Arthur King Corfield Anastasius Hartmann und die eingeschlossenen Fischer. Der Bischof verbrachte noch die ganze Karwoche und Ostern in Mahim, und ein ganzes weiteres Jahr in der Nähe in einem Haus, um die Kirche zu verteidigen. Doch ein Jahr später, am 25. Juni 1854, entschied das Obergericht zu Gunsten der Padroado und die Kirche wurde Joseph de Mello übergeben.

Anastasius hatte zwar die Kirche von Mahim verloren Doch er fand sich nicht damit ab. Nicht nur baute er neben der verloren gegangenen Kirche eine neue. Da er überzeugt war, es müssten alle Katholiken der Welt über diese Vorgänge informiert werden, orchestrierte er eine auch eigentliche weltweite Medienkampagne, heute würde man sagen, ein massenmedialer „Shitstorm“, um seine Sicht der Dinge darzulegen. Zeitungen aus aller Welt berichteten damals über den „Kampf um Mahim“.

Weitere Infos zu Anastasius Hartmann bei ite im Dossier