Weihnachtsbrief aus Abu Dhabi

Von einer „bemerkenswerten Sicherheit und friedlichen Toleranz unter den Religions- und Volksgruppen“ in den Vereinigten Arabischen Emiraten und in Oman berichtet der Kapuziner-Bischof Paul Hinder in seinem Weihnachtsbrief.

Weihnachtsbrief 2016 aus dem Süden Arabiens

An alle, die mir verbunden sind

Meine Lieben,

Jedes Jahr hoffen und beten wir, dass wenigstens an Weihnachten die Waffen auch dort ruhen mögen, wo Krieg herrscht. Ich denke dabei besonders an Syrien und an Jemen, wo wir ohnmächtig zusehen müssen, wie Tausende von Menschen getötet werden und Millionen auf der Flucht sind oder Hunger leiden. Auch in der Weihnachtsgeschichte, wie sie Matthäus erzählt, wird der „neugeborene König der Juden“ von der Gewalt eingeholt, muss die heilige Familie die Flucht ergreifen und werden unschuldige Kinder wahllos getötet. Da fällt es nicht leicht, den Engeln im Lukasevangelium Glauben zu schenken, die vom Himmel her singen: „Verherrlicht ist Gott in der Höhe, und auf Erden ist Friede bei den Menschen seiner Gnade.“ Und doch sind auch wir aufgerufen, demütig „nach Bethlehem zu gehen, um das Ereignis zu sehen, das uns der Herr verkünden liess.“

Mordgeschichten, wie sie das Matthäusevangelium berichtet, haben uns während des ausgehenden Jahres oft erreicht. Für mich war es besonders erschütternd, als ich am 4. März die Nachricht erhielt, dass in Aden (Jemen) vier von den fünf Missionarinnen der Liebe und zwölf Mitarbeitende von einem Terrorkommando getötet worden sind. Beim brutalen Überfall wurde P. Tom Uzhunnalil (indischer Salesianer Priester) entführt. Bis heute gelang es nicht, ihn frei zu bekommen. Er soll aber nach glaubwürdigen Berichten am Leben sein. Die einzige Schwester, die damals der Ermordung entkam und mit Hilfe des Militärs der Vereinigten Arabischen Emirate evakuiert wurde, wirkt unterdessen im Libanon. Einige ihrer Mitschwestern sorgen in Sana’a und Hodeidah trotz des Krieges weiterhin segensreich für die Ärmsten der Armen.

Zum Glück gibt es aber trotz der schwierigen politischen Grosswetterlage in der Region des Mittleren Ostens auch Lichtzeichen. In den Vereinigten Arabischen Emiraten und in Oman erfreuen wir uns weiterhin einer bemerkenswerten Sicherheit und friedlichen Toleranz unter den Religions- und Volksgruppen. Natürlich ist auch hier nicht alles Gold, was glänzt. So ist es kaum Zufall, dass ich während des Jahres mehr als einmal gebeten wurde, an Veranstaltungen über Fragen des Menschenhandels, der Religions- und Kultusfreiheit, der Achtung der Würde eines jeden Menschen usw. zu reden. So war ich vor wenigen Tagen in Berlin, wo ich nicht nur vor den Medien, sondern auch gegenüber einer Anzahl Parlamentariern des Bundestages über unsere Situation berichten konnte.

Im letzten Rundbrief berichtete ich, dass der bisherige Apostolische Nuntius Erzbischof Petar Rajic nach Angola berufen wurde. Unterdessen ist sein Nachfolger, Erzbischof Francisco Padilla, ein gebürtiger Filipino, in Kuwait eingetroffen. Er konnte im November in Abu Dhabi sein Beglaubigungsschreiben überreichen und wird uns im Januar am Jahreskongress aller Priester und hauptamtlichen Pastoralkräfte mit seiner Anwesenheit beehren. – Nach den Papstaudienzen der Ministerin für Toleranz im vergangenen Juni und des Kronprinzen von Abu Dhabi im September wird hier ernsthaft über einen Besuch von Papst Franziskus in den Golfstaaten gesprochen. Ob und wann dieser stattfinden wird, ist allerdings völlig offen.

Die Staaten am Golf gelten als Horte des Reichtums. Das ändert allerdings nichts an der Tatsache, dass auch diese Länder vor wirtschaftlichen Herausforderungen stehen. Viele Ausländer erfahren das am eigenen Leib, wenn sie plötzlich entlassen werden und glauben, sie würden gleich wieder eine neue Anstellung finden, was oft eine Illusion ist. In allen Ländern ist ein Abbau bisheriger Privilegien im Gang. Das führt direkt oder indirekt zu einem Anstieg der Lebenskosten, ohne dass dies durch Lohnerhöhung kompensiert würde. Ob die Errichtung eines „Ministerium für glückliches Leben“ (Ministry of Happiness) in den Vereinigten Arabischen Emiraten daran etwas ändert, wird sich erst noch weisen müssen. Für uns als Kirche ist die Errichtung eines Ministeriums für Toleranz unter der Leitung von Sheika Lubna wichtiger und wird in Zukunft auch die Beziehungen zu den Regierungsstellen hoffentlich etwas vereinfachen.

Im vergangenen Juli nahm ich am Weltjugendtag in Krakau (Polen) teil, wo ich als Katechet in deutscher Sprache engagiert war. Aus unserem Vikariat nahmen um die 300 Jugendliche an diesem internationalen Treffen teil. Auch in unserem Vikariat hatten wir Jugendveranstaltungen unter dem Namen TUFF (die englische Abkürzung steht für: Teenagers vereint im und für den Glauben). In Oman nahmen ungefähr 300 Teenagers teil, während es in den Vereinigten Arabischen Emiraten um die 1000 waren. Eine in der Jugendanimation spezialisierte Gruppe mit jungen Leuten vorwiegend aus Irland gestaltete die Tage mit. Für mich und wohl auch für viele Jugendliche waren die Sitzungen „Fragen an und Antworten des Bischofs“ besonders spannend. Es ist eine Herausforderung, sich ungeschützt den spontanen Fragen von Jugendlichen auszusetzen, die keine Tabus kennen. Die Echos haben mir allerdings bestätigt, wie wichtig es für die Jugendlichen ist, dem Bischof auch unbequeme Fragen stellen zu dürfen. Und für mich war es wichtig, solchen Fragen nicht auszuweichen, sondern ehrlich Rede und Antwort zu stehen. In den Rückmeldungen haben diese Sitzungen besonders gute Noten erhalten.

Im vergangenen Frühjahr ist unter meinem Namen ein Buch erschienen, das ich in Zusammenarbeit mit Herrn Simon Biallowons herausgegeben habe. Das Buch mit einigen autobiographischen Teilen berichtet über meine Erfahrungen als Bischof in Arabien. Ich nehme darin auch zu einigen Fragen Stellung, die mit dem Verhältnis zum Islam zu tun haben. Einige Abschnitte verstehe ich als Herausforderung an die Menschen, die als Christen in Europa leben. Vielleicht findet das Buch seinen Platz auf dem einen oder anderen Gabentisch an Weihnachten (Paul Hinder / Simon Biallowons, Als Bischof in Arabien, Erfahrungen mit dem Islam. Herder Verlag, Freiburg i. Br.2016).

In diesen Tagen sind es dreizehn Jahre her, dass Papst Johannes Paul II. mich in das Bischofsamt berufen hat. Im kommenden Jahr werde ich 75-jährig und gemäss kanonischem Recht dem Papst meinen Amtsverzicht anbieten. Ob und wann dieser angenommen wird, steht in der freien Entscheidung des Papstes. Es könnte sein, dass ich noch einige Zeit über das kanonische Bischofsalter hinaus weiterwirken muss. Jedenfalls erwarten die Gläubigen hier, dass sie mein goldenes Priesterjubiläum noch mit einem amtierenden Bischof feiern dürfen.

Allen, die mich durch Gebet, freundschaftliche Verbundenheit und/oder materielle Hilfe in meiner Aufgabe unterstützen, danke ich mit einem herzlichen „Vergelt’s Gott!“

Ich wünsche allen eine frohe Weihnacht und den Segen des Allerhöchsten für das Jahr 2017.

Abu Dhabi, 8. Dezember 2016

+ Paul Hinder OFMCap