Konflikte: Gegner und Feinde bis ans Lebensende?

Konflikte und Streit sind in allen menschlichen Beziehungen unausweichlich. Muss man sich nach Meinungsverschiedenheiten und Interessenkonflikten in alle Zeiten bekriegen? Oder gibt es faire Weisen der Konfliktbewältigung?

 Wenn Menschen einander begegnen, gehören Konflikte zum Alltag. Wir könnten darüber reden, aber meistens tun wir es nicht. Die schlimmste Form von Konflikten erleben wir im Krieg.

Nichtverstehen
Im Umgang mit anderen Menschen nehme ich verbale und nonverbale Sinneseindrücke auf. Diese Wahrnehmung hängt davon ab, wie ich mich zu diesem Zeitpunkt fühle. Sie kann deshalb nicht objektiv sein. Dabei nehme ich unbewusst wahr, was mir wichtig ist. Auf Grund meiner bis dahin gemachten Lebenserfahrungen male ich mir automatisch ein Bild. Ich bewerte die Situation und ordne sie ein. Daran sind auch Fantasien beteiligt.

Entscheidend ist, dass ich mir bewusst bin: Ich habe diese Wahrnehmung. Sie ist für mich Realität. Jeder Mensch hat wie ich seine eigene Realität. Je besser ich einen Menschen kenne, je besser meine Beziehung zu ihm ist, desto deutlicher und klarer kann meine Wahrnehmung von ihm sein. Eine gute (bewusste) Beobachtung hilft mir, mehr wahrzunehmen. Es bleibt jedoch immer, auch wenn ich einen Menschen noch so gut kenne, ein Rest Unwissenheit, ein Rest Nichtverstehen.

Erledigt sich nicht von selbst
Wir sehen: Wenn zwei oder mehr Menschen miteinander in Bezug treten, treffen unterschiedliche Bezugsrahmen, Wahrnehmungen und Interessen aufeinander. Dies führt naturgemäss zu Konflikten.

Diese sind nicht zu übersehen. Auch wenn wir sie zu ignorieren versuchen, wir nehmen sie wahr. Ein Konflikt, der nicht bearbeitet wird, bleibt erhalten; selbst über Jahre. Es ist eine irrige Meinung, er würde sich sozusagen von selbst erledigen, wenn man ihn ignoriert oder lange genug wartet. Auch wenn der eigentliche «Anlass» vergessen wurde, die begleitenden Gefühle bleiben erhalten. Nur so ist es zu erklären, dass aus einem nichtigen Anlass plötzlich ein Konflikt entsteht, der in keinem Verhältnis dazu steht.

Erfahrungen aus der Kindheit
Ein Konflikt löst in mir ungute Gefühle aus. Ich fühle mich «nicht wohl in meiner Haut», bin unsicher; habe Angst, möchte am liebsten davonlaufen, selbst wenn ich eine gute Beziehung zu meinem Konfliktpartner habe. Meistens kommt noch dazu, dass ich mich über mich selbst ärgere. Ich wäre gerne «anders», eben nicht unsicher, ängstlich …

Diese unguten Gefühle kommen weitgehend – aber nicht nur – aus meiner Kindheit, aus den Erfahrungen, die ich dort mit dem Umgang mit Konflikten gesammelt habe. Als Kind durfte ich meinen Eltern nie widersprechen. Meine eigene Meinung war nicht gefragt. Wenn ich es doch einmal wagte, musste ich mit Sanktionen rechnen, z.B. mit Schlägen.

Das heisst im Alltag, der nie ganz frei von meinen/unseren Fehlern sein kann: Ich habe Angst vor möglichen Folgen: Der andere könnte böse sein auf mich, mich schneiden, mich nicht mehr gernhaben. Diese Angst kann durchaus dazu führen, dass ich nun erst recht Fehler mache, weil ich unsicher, nervös werde, was wiederum zu neuen Konflikten führt.

Angst führt in jedem Fall zu vermehrten Konflikten. Sie erschwert es mir, mich den anstehenden Konflikten zu stellen. Ich kann dadurch in eine Abwehrhaltung geraten, die sich eventuell in aggressivem Verhalten äussert.

Verwirrungen und Missverständnisse
Wir fragen gewöhnlich: «Hast du mich verstanden?» Anstatt: «Was hast du verstanden?» Auch wenn ich der Meinung bin, ich hätte mich klar ausgedrückt, kann ich missverstanden werden.

Ich kann nicht voraussetzen, das ich verstanden werde. Mein Gegenüber hört mit seinem Ohr, d.h. er hört das, was er verstehen kann und will. Ich kann einem Menschen, der noch nie Schnee gesehen hat, erklären, was Schnee ist. Trotzdem wird er nicht annähernd denselben Worthintergrund haben wie ich, die ich den Schnee kenne. (Das Wort Schnee hat in der Wüste keinen Klang.) Gleiche Erfahrungen, der gleiche Hintergrund erleichtern uns also die Verständigung. Bei Menschen, die sich vertrauen, kommt es seltener zu Missverständnissen.

Nicht richtig zuhören
Viele Missverständnisse entstehen dadurch, dass wir nicht richtig zuhören. Unter richtig verstehe ich ein aktives, bewusstes Zuhören. Es kommt dabei auf meine innere Haltung an. Wenn ich den anderen wertschätze, kann mir das, was er mir mit seinen Worten mitteilen will, nicht gleichgültig sein. Wenn ich auf diese Weise zuhöre, ergibt es sich von selbst, dass ich nachfrage, wenn ich etwas nicht verstanden habe oder weil mich das Thema interessiert.

Im Allgemeinen machen wir uns keine oder wenig Gedanken darüber, wie und in welcher Form wir miteinander reden. Das Ganze läuft «automatisch» ab. Wird der Ablauf gestört, wenn uns z.B. etwas verunsichert, wird auch der Wortfindungsprozess gestört. Uns fallen dann die richtigen Worte nicht ein, auch wenn sie vorhanden wären.

Spiel mit Maske
Wir neigen dazu, uns in ein besonders gutes Licht zu stellen. Wir spielen sozusagen ein Spiel und halten uns dabei eine Maske vor. Diese ist unser Schutz. Sie verhindert manchmal leider auch, dass wir besser verstanden werden. Diese Beziehungsebene spielt bei jedem Gespräch eine wesentliche Rolle. Sie beeinflusst meine Haltung beim Sprechen, die Wortwahl, die Tonlage und die Lautstärke.

Wenn wir miteinander in Beziehung treten, findet neben der Sprache auch eine Verständigung ohne Worte statt. Die wortlose Kommunikation hat einen grösseren Einfluss darauf, wie wir miteinander reden, als wir gemeinhin meinen. Wir erkennen an der Haltung, am Schritt, am Gesichtsausdruck, an der Tonlage der Stimme, in welcher Stimmung sich unser Gegenüber befindet.

Wir haben im Laufe unseres Lebens gelernt, diese Zeichen zu deuten. Das schliesst jedoch eine Fehlinterpretation nicht aus. Bei Menschen, die sich sehr gut kennen, kommt es dabei weniger häufig zu Missverständnissen. Doch bei sich fremden Kulturen können die daraus entstehenden Missverständnisse gravierende negative Folgen haben.

Konflikt erfolgreich gelöst
Wenn ich einen Konflikt erfolgreich gelöst habe, heisst dies nicht, dass ich nun perfekt im Konfliktlösen bin. Jeder Konflikt stellt eine Herausforderung dar. Ich muss mich jedes Mal wieder neu darauf einlassen. Manchmal muss ich auch einsehen, dass es mir trotz aller Bemühungen nicht gelingt, den Konflikt zu lösen. Wenn ich jedoch eine Konfliktlösung als positiv erlebt habe, bin ich eher dazu bereit, einen neuen Konflikt anzugehen. Und auch hier gilt: Übung macht den Meister.

Anke Maggauer-Kirsche


Mein Grossonkel
WLu. Ein älterer Herr musste mich wegen einer Sachfrage kontaktieren. Er weigerte sich, mit mir Kontakt aufzunehmen und schob einen Mittelsmann vor. Denn: «Mit dem L. spreche ich nicht. Sein Grossonkel hat meinen Vater beleidigt!»

Mag ja sein. Aber ich habe meinen Grossonkel seligen Angedenkens nie gesehen. Und da sollte ich «haftbar» gemacht werden für seine Taten!