Abschied von Bruder Erwin Schmid

Auferstehungsgottesdienst für Br. Erwin Schmid  (25.12.1920 – 5.6.2012)

Abschiedspredigt von Br. Willi Anderau bei der Beerdigungsfeier in der Kapuzinerkirche auf dem Wesemlin in Luzern am 11. Juni 2012 Evangelium (Lk 17, 7 – 10)
Jesus sagte: Stellt euch vor, jemand von euch hat einen Knecht und der kommt vom Pflügen oder Schafehüten nach Hause. Wird er wohl gleich als Erstes zu ihm sagen: `Bitte, komm und setz dich zu Tisch?` Gewiss nicht! Er wird ihm sagen: `Mach mir das Essen fertig, binde dir die Schürze um und bediene mich bei Tisch! Wenn ich fertig bin, kannst du auch essen und trinken.` Wird er sich etwa bei dem Knecht bedanken, weil der getan hat, was ihm befohlen war? So ist es auch mit euch. Wenn ihr alles getan habt, was Gott euch befohlen hat, dann sagt: `Wir sind Diener, weiter nichts; wir haben nur getan, was uns aufgetragen war.`

Liebe Trauergäste
Zugegeben ein etwas kantiger Text, den wir im Evangelium gehört haben. Jesus verweist die damaligen religiösen Führer, die Pharisäer, auf ihre eigentliche Rolle. Wer zu Gottes Reich gehören will, muss Gott und den Menschen dienen, er lässt sich nicht einfach bedienen, mahnt hier Jesus unmissverständlich. Ich habe diesen Text ausgewählt, weil ich finde, dass Br. Erwin Schmid ein Mensch war, dem es gelungen ist, diese Mahnung Jesu überzeugend ins eigene Leben umzusetzen.
Darüber hinaus zeichneten Erwin viele Qualitäten aus, die ihn zu einem feinfühligen, liebenswürdigen und aufmerksamen Mitbruder machten. Wenn etwas zu tun war, dann tat er es. Beispiel: Das Kloster Stans hatte ab und zu zahlreiche Gäste. Wenn die Brüder jeweils an solchen Feiertagen mit ihren Gästen noch fröhlich im Refektorium tafelten, sah man Br. Erwin ganz selbstverständlich in seiner Arbeitskleidung, in seinem blauen „Übergwändli“ in der Küche die Geschirrberge abwaschen. Er arbeitete bedächtig und genau, aber eigentlich immer heiter. Eine Heiterkeit, die ansteckte. Und selbst, wenn ihm etwas nicht passte, konnte er seine Meinung oft in witzige Formulierungen einkleiden, welche das Leben erträglicher machten.
Stolz war er auf seinen Geburtstag: Am 25. Dezember 1920 kam er – wie er oft bemerkte –  „als Chrischtkindli“ zur Welt. Er war der dritte Knabe der Familie Schmid in Seewagen und wurde auf den Namen Hans getauft. Auf dem elterlichen Bauernhof wuchs er auf zusammen mit sieben Geschwistern. In einer Skizze zu einer Autobiographie schildert Erwin einige Stationen seines Lebens. Es blitzt da und dort sein feiner Humor auf und kaschiert oft in bildhaften Formulierungen, was auch ihn schmerzte. Zum Beispiel den Beginn seiner Schulzeit und einen geplatzten Bubentraum:

„Im siebten Lebensjahr begann an der Gütsch-Hochschule der Klassenkampf. Im Klartext: in den Jahreszeugnissen wiederholte sich der Refrain: Steigt unbedingt oder steigt nur bedingt.“ Irgendwann muss es in der schulischen Laufbahn von Hans Schmid einen Bruch gegeben haben. Er nennt es „die Brandkatastrophe“, was für den jungen Schüler das Ende eines Bubentraumes bedeutete: „Und das war die bittere Realität: der Traum vom Führerstand der damaligen Schnellzugslock AE 4/7 war zu Ende.“ Sein Buben-Traum als Lockführer war geplatzt und so fährt Erwin fort: „Umso mehr wurden die Wanderprediger der Missionsgesellschaften zu Rufern der eigentlichen Berufung. Recht bald ging das Signal auf zur Schnupperlehre bei  den Kapuzinern. Ein weiteres Signal führte mich aber auf ein Rangiergeleis zur Rekrutenschule und zum Aktivdienst in Feldgrau.“ Der 2. Weltkrieg tobte. Erwin fährt fort in militärischem Jargon:  „Ein Jahresurlaub im Militär ermöglichte bei den Kapuzinern eine RS in Braun. Nach dem Fahneneid der Profess begann der Aktivdienst in Braun (bei den Kapuzinern). Zuerst als Gehilfe bei Schreinermeister Bruder Ignaz Knoll.“  Später wurde Br. Erwin die Küche anvertraut – es war noch Kriegszeit und Rationierung. Bei Erwin liest sich das so: „In der Küche wurde ich zum hauptamtlichen Rationierungsmarken-Akrobat.“

Noch während des 2. Weltkrieges erkrankte Erwin an Tuberkulose. Er schreibt: „Während der grosse Feldmarschall Eisenhower die grosse Invasion in die Normandie inszenierte, erfolgte auf mein Rippenfell die Invasion der Borkenkäfer vom Typ TBC. Diese drangen bis zum Bunker einer Kaverne des unteren Lungenflügels vor. Das  wurde zu einem Kampf um‘s Überleben. Und – ich überlebte, mit Achtungserfolg. Acht Wochen intensive Pflege. Dann acht Monate Sanatorium. Hier wurde das Fundament gelegt für Behindertenhilfe durch die Katholische Krankenvereinigung.“ (Dazu muss man wissen: Erwin engagierte sich jahrelang für hörbehinderte Menschen, unter anderem auch als Mitglied des Vorstandes des Hörbehindertenvereins, wo ihm das Ressort Organisationshilfe übertragen wurde.) Es folgten dann noch „acht Jahre im Exil der Rekonvaleszenz im Klösterli Rigi Kaltbad“.

1953 konnte Br. Erwin geheilt ins Kloster Schüpfheim wechseln. Dort fand er den Weg in sein künftiges Arbeitsfeld als Elektriker. Das Kloster Schüpfheim wurde gerade umgebaut. Der dortige Kreismonteuer beschäftigte Erwin als Elektromonteur. Er brachte ihm das Handwerk von der Pike auf bei, so dass diese Jahre gewissermassen einer Elektro-Lehre gleichkamen. So ausgebildet wurde Br. Erwin vier Jahre später, 1957 als Elektriker und All-round- Techniker, ins Kloster Stans berufen, wo er ein klostereigenes Kraftwerk mit Wasser-Turbine und Generator zu betreuen hatte. Er war dafür verantwortlich, dass in Kloster und Kollegi alle Lampen brannten und die Heizungen nicht mehr Wärme abgaben, als es der Ökonom erlaubte. Für Montagen und Reparaturen hütete er ein Reich von Drähten, Schaltern, Leuchtkörpern und Sicherungen, welche teilweise schon damals musealen Wert besassen. Das grössere  Lager befand sich im oberen Stock des Elektrokraftwerkes, das kleinere in seiner Klosterzelle. Br. Erwin war nicht nur wegen seiner Funktion als unverzichtbarer Nothelfer in allen technischen Störungen von Studenten, Schwestern und Lehrern geachtet und geschätzt, sondern auch wegen seiner freundlichen und heiteren Art. Sein Markenzeichen war das blaue „Übergwändli“, das immer dann auftauchte, wenn irgendwo eine Lichtröhre flackerte oder eine Wasserleitung leckte.

Als junger Frater hatte ich selber das Glück, zusammen mit Bruder Erwin die Bühnenbeleuchtung des Kollegis zu renovieren. Geduldig führte er mich in die Geheimnisse der Drahtfarben und in deren korrekte Verdrahtung ein. Es war eine interessante Zeit und ich bin ihm heute noch dankbar für das, was ich bei ihm lernen durfte. Sein damaliger Chef und Rektor, Br. Fortunat Diethelm, schilderte Erwin im „Stanser Student“ 1984 treffend: „Dreinfahren war nicht seine Art. Wenn man ihm einen Auftrag gab, kam es immer wieder vor, dass er nach einer oder zwei Wochen anklopfte und in liebenswürdiger Umständlichkeit seine Überlegungen zum Problem vortrug. Tatsächlich war die Lösung, die er sich in langen Stunden ausgedacht hatte, oft besser als die Vorschläge, die man ihm etwas vorschnell vorgelegt hatte. – Es war zum neidisch werden: Bruder Erwin war der ausgesprochene Liebling der Schwestern. Mit all ihren technischen Anliegen in Küche, Garten und Haus nahmen sie Zuflucht zu ihrem Schutzpatron, der mit Engelsgeduld stundenlang sich antiker Küchengeräte, Staubsauger und Heizöfen annahm.“

Ja, das war Bruder Erwin. 1987 wurde geplant, das Kollegium dem Kanton zu übergeben. Für Br. Erwin – er war bereits im Pensionsalter – wurde es auch Zeit, etwas kürzer zu treten, was allerdings meistens mit oft anspruchsvollen Pfortendiensten in den Klöstern Wil, Stans und Mels verbunden war.

Ein Geheimnis bleibt noch zu lüften: Wie nährte Erwin seine Verbindung von Technik und Spiritualität, woraus schöpfte der Mann Kraft für seinen Beruf und seine Berufung? Blenden wir nochmals zurück zu seinem achtjährigen Rekonvaleszenz-Aufenthalt auf Rigi-Kaltbad. In Erwins autobiographischen Notizen lesen wir:
„Im sechsten Jahr dieses Aufenthaltes auf Rigi-Kaltbad kam es zu einer denkwürdigen Begegnung. Eine Touristengruppe kam des Weges, dessen Anführer aussah wie ein geheilter Leprakranker. Zu meiner Verwunderung wurde ich von diesem angesprochen. Es war kein geringerer als der grosse Physiker und Forscher für Radiologie: Der Emigrant und Professor Friedrich Dessauer, Autor des Buches „Seele im Bannkreis der Technik“.
Zur Erklärung: Professor Friedrich Dessauer war Professor an der katholischen Universität Fribourg. Er forschte in Radiologie und ruinierte dabei seine Gesundheit mit den damals noch wenig bekannten Röntgenstrahlen. Dessauer beschäftigte sich auch mit Grenzfragen zwischen Naturwissenschaft und Glauben. Einiges davon ist niedergelegt in seinem Buch „Die Seele im Bannkreis der Technik“.
Lesen wir also weiter bei unserem Bruder Erwin: „Dieses Werk interessierte mich. Dadurch bin ich in ein Spannungsfeld geraten zwischen der Seele im Bannkreis der Technik und die Technik im Strahlungsfeld der Seele. Lebenslänglich entstand diese Gabe zur Aufgabe. Aus einem Ratschlag dieses Buches – arbeite betend – gab’s eine Parallele zum benediktinischen Leitwort – bete und arbeite. Gelegenheit dazu gab es: vertraut werden mit den grossen Symbolen der heiligsten Dreifaltigkeit: Licht, Wärme und Kraft. Aber auch ein heilsamer Respekt vor den urgewaltigen Elementen der lebensnotwendigen Güter dieser Erde: Wasser, Feuer und Luft“.
Und dann schliesst Erwin seinen Bericht mit einem eigenen Zusatz zum Sonnengesang:
„Gelobt seist du, mein Herr, durch jene Techniker, Unternehmer und Mitarbeiter, welche diese übertragenen Aufgaben bewältigen. Selig sind sie, denn sie haben deinem Auftrag entsprochen.“
Bruder Erwin verstand es, eine Verbindung herzustellen zwischen dem blauen „Übergwändli“ und dem braunen Ordenskleid. Auf beiden Seiten floss derselbe Strom: Beides war Gebet. Und auf beiden Seiten floss die Liebe zu Gott und zu den Mitbrüdern und Mitschwestern.

Lieber Bruder Erwin, wir sagen dir von Herzen vergelt’s Gott für alles, was du uns gegeben hast: dein Beispiel, deine Arbeit, dein Leben.  Und zum Schluss habe ich dir noch einen zweiten Text aus demselben Lukasevangelium ausgesucht. Heute gehört dieser Text dir:

Haltet euch bereit und lasst eure Lampen nicht verlöschen! Seid wie Menschen, die auf ihren Herrn warten, der auf einer Hochzeit ist. Wenn er dann spät zurückkommt und an die Tür klopft, können sie ihm sofort aufmachen. Sie dürfen sich freuen, wenn der Herr sie bei seiner Ankunft wach und dienstbereit findet. Ich versichere euch: Er wird sich die Schürze umbinden, sie zu Tisch bitten und sie selber bedienen. – Amen (Lk 12,35-37)

Luzern, 11. Juni 2012 – Willi Anderau