An der Seite der Ausgeschlossenen

Franziskanisch inspirierte Menschen unterstützen Bedrängte, damit sie ihren Platz in der Gesellschaft finden.

Franziskanische Begegnungen mit Ausgestossenen
Franz von Assisi betrachte alle Menschen, besonders die Ausgestossenen und Verachteten, als Brüder und Schwestern. Und heute: Gibt es noch franziskanische Menschen, die Grenzen überschreiten, um zu denen zu kommen, die in der heutigen Gesellschaft keinen Platz mehr finden?

Eine Gruppe von Berliner Sozialwissenschaftlern sieht düster: «Die Geschichte und Nachgeschichte des Franz von Assisi ist eine Geschichte der systematischen Verdrängung, Verleugnung, Unterdrückung, Zensur und Verfälschung der revolutionären Sprengkraft seines Lebenszeugnisses.»

Klosterasyl
Drei Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit mögen zeigen, dass es Nachfolger und Nachfolgerinnen des heiligen Franz gibt, ihm durch mutige Taten nachfolgen. Da ist etwa das Kirchenasyl für Verfolgte, zum Beispiel im Franziskanerkloster von Wangen im Allgäu. Ein Kurde, der in der Türkei gefoltert wurde und dessen Vater aus politischen Gründen umgebracht wurde, sollte zurückgeschickt werden.

Die Brüder in Süddeutschland wurden von seinem Anwalt angefragt, ob sie ihm im Kloster Asyl gewähren könnten. Die Franziskaner gaben sich nicht mit Appellen zur Migrationsproblematik zufrieden. Sie hatten den Mut, bis an die Grenzen der Legalität zu gehen, um einem verfolgten Migranten zu helfen.

«Wir haben einen Menschen»
Wegen des Klosterasyls kam es zu langwierigen Verhandlungen der Franziskaner mit den Behörden. Der Klosterobere, Pater Silvester Neichel, argumentierte dabei gegenüber dem zuständigen Regierungspräsidenten: «Sie haben die Gesetze. Wir haben einen Menschen. Vor uns steht ein Mensch, der in Not ist!»

Auf die Frage, ob das Kloster mit seinem Verhalten auch ein «politisches Zeichen» setzen wollte, meinte der Obere:

„Jede gute Tat hat auch politische Wirkung. Nicht nur im Religiösen oder im Geistlichen, sondern ich denke auch im Politischen. Die Kirche und das Evangelium und wir Franziskaner sind auch politisch. Wir setzen uns vor allen Dingen für Arme und Randgruppen ein, so wie es Jesus gemacht hat, der den Menschen in den Mittelpunkt gestellt hat. (…) Wir möchten auch ein politisches Signal geben und damit auch die zum Nachdenken anregen, die die Gesetze machen. (…) Der Einzelfall muss mehr gesehen und darf nicht in ein Raster gepresst werden, so dass alle über einen Leisten geschlagen werden.“

Bedrängte Frauen
Ein anderes Beispiel von mutigem franziskanischem Handeln für Bedrängte: die leider früh verstorbene Schwester Irmlind Rehberger von den Oberzeller Franziskanerinnen Würzburg.

Fast vier Jahrzehnte lang kümmerte sich die studierte Sozialpädagogin um Frauen in Not, um Gepeinigte, Verzweifelte, Ausgegrenzte, Missbrauchte, Arme, Kleingemachte. 1983 begannen die Oberzeller Franziskanerinnen, sich um strafentlassene Frauen zu kümmern. Bald boten sie auch Schutzraum für missbrauchte Mädchen. Irgendwann kam die Hilfe für Wohnungslose, Obdachlose dazu; ferner für Prostituierte und für Opfer von Frauenhandel.

Muslime, Christen und Juden
1219, also vor 800 Jahren, versuchte Franz von Assisi unter Einsatz seines Lebens zwischen den christlichen Kreuzrittern und ihren muslimischen Gegnern zu vermitteln. Ganz im Geiste dieser Friedensmission arbeitet der bosnischen Franziskaner Marco Orsolic im ehemaligen Jugoslawien. Mitten im Krieg gründete er das multireligiöse und interkulturelle Zentrum IMIC als Ort des Dialoges zwischen Christen, Muslimen und Juden. Später schuf er in der serbischen Hauptstadt Belgrad das Zentrum BWMIC.

Als Ziel nennt er:

  • «Die Verkettung des Bösen mit Hilfe der Religionen durchbrechen.
  • Schuld erkennen, bereuen und bekennen und dann Vergeben geben und um Vergebung bitten. Mit einem Wort: sich versöhnen. Die minimale politische Voraussetzung dafür ist, dass alle Kriegsverbrecher in Den Haag oder auf regionaler Ebene vor Gericht gebracht werden. Damit wird die Schuld personalisiert und so verhindert, dass den Völkern und den Staaten kollektive Schuld zugewiesen wird. Das ist für den Versöhnungsprozess unentbehrlich. Nur so kann ein Friedensprozess von unten entstehen.
  • Wir wollen durch die Religionen und Spiritualitäten Frieden schaffen und Frieden erhalten.»

Mutige Frauen und Männer

An den drei Fallbeispielen aus den letzten Jahrzehnten wird überdeutlich, dass es auch heute noch Frauen und Männer in den franziskanischen Ordensgemeinschaften gibt, die aus ihrer Spiritualität heraus den Mut haben einzugreifen, wenn das Leben von Menschen bedroht ist. Und bestimmt treffen wir in allen Jahrhunderten nach Franz und Klara auf Frauen und Männer, die exemplarisch deren Ideen in ihrer Zeit zu leben versuchten.

Udo Schmälzle, Franziskaner

Pastoraltheologe


Angst und Fremdenhass

Herzstück der Migrationsproblematik sind Angst und Fremdenhass. Die Ausgrenzung von Menschen und die Verweigerung der Anerkennung des Anderen haben ihre tiefsten Wurzeln in der Angst des Einzelnen um die eigene Existenz und in der Verabsolutierung von kulturellen, nationalen oder religiösen Macht‐ und Wahrheitsansprüchen. Eine „Entfeindung“ des Denkens, Fühlens und Handelns muss hier ansetzen. Dies betrifft den Einzelnen, aber mehr noch das Kollektiv, die Verantwortlichen in Politik, Religion und Gesellschaft.


PS.: Dieser Beitrag entstand im Rahmen der «Artikelbörse Integration» der Nord-West-Europäischen Kapuziner/CENOC.