Das neue Missionsverständnis, in der Schweiz verwirklicht

Wie nahm die Schweizer Kirche die Impulse des Konzils auf?

(Vorbemerkung von WLu. Hier der zweite Teil aus meiner im „Vaterland“ erschienenen Bilanz-Reihe „20 Jahre nach dem Konzil“):

So sehr das vom Konzil erarbeitete neue Missionsverständnis wächst, so stehen ihm doch vielerorts gewaltige Hindernisse entgegen. Viele Christen sind so stark mit ihren eigenen Problemen beschäftigt, dass sie für Neues und Ungewohntes nicht mehr aufnahmefähig sind. Dazu kommt, dass ausgerechnet dort, wo die Missionsarbeit seit Jahrzehnten verwurzelt ist, die Impulse des Konzils vielfach auf taube Ohren stossen. Man unterstützt – was an sich zweifellos erfreulich ist – „seinen“ Missionar aus der Gemeinde, weigert sich aber, den Blick zu öffnen für die gewandelten Situationen und Einsichten. In einer Antwort, die letztes Jahr der Deutschschweizer Missionsrat auf seine Umfrage unter den Diözesen erhalten hat, heisst es: „Für Bewusstseinsbildung erschwerend ist, dass in breiten Kreisen Mission und Sammlung (Geld) gleichgesetzt wird. Die Bedeutung von Information wird nur am Sammelergebnis gemessen. In einigen Regionen ist auch eine gewisse Verärgerung über bereits geschehene Informations- und Bildungsarbeit spürbar.“ In einer andern Antwort werden jedoch die Proteste als „ein gutes Zeichen der Betroffenheit“ angesehen …

Entwicklungshelfer

Bei aller Betonung der Mission im „Missionsland Schweiz“ geriet der Einsatz in der Dritten Welt nicht in Vergessenheit, Dabei hat sich seit dem Konzil das Personal vielfach geändert. Gingen vorher fast ausschliesslich Mitglieder von Missionsorden und –Kongregationen „in die Missionen“, stellen sich seither immer mehr Weltpriester in den Dienst der jungen Ortskirchen. Karl Hüppi von der Fidei-Donum-Dienststelle hat im Augenblick sieben Neuanmeldungen. Er stellt die grosse Bereitschaft der Schweizer Bischöfe fest, trotz Personalknappheit qualifizierte Leute freizustellen.

Ein neuer Typ von „Missionar“ ist der Entwicklungshelfer. Er versteht sich allerdings nicht mehr als verlängerter Arm des Priesters, wie es die alte Bezeichnung der Organisation nahe legte, die solche Einsätze vermittelt: „Schweizerisches katholisches Laienhelferwerk“. Daraus wurde inzwischen der neutrale Name „Interteam“; aus dem Laienhelfer wurde ein „Entwicklungshelfer“. Er bringt heute eine humanistische, nur in seltenen Fällen eine ausdrücklich religiöse Motivation mit. Der Entwicklungshelfer möchte einen Beitrag zur gesellschaftlichen Veränderung leisten. Er ist bereit, dies im Rahmen einer lokalen Kirche zu tun.

Die Ausbildung der Mitarbeiter des Intereams bietet eine Auseinandersetzung mit Glaubensfragen, um auf der Basis des Evangeliums einen tragfähigen Glauben aufzubauen. Ebenso wird ein ganzheitliches Missionsverständnis vermittelt. Louis Zimmermann schreibt uns dazu: „Es geht dabei um den ganzen Menschen und alle Menschen, um Leib und Seele, um die soziale und wirtschaftliche Ordnung. In diese Schau von Mission kann der Entwicklungshelfer seinen eigenen Standort gut einbauen und seinen Platz finden. Er versteht sich als Mitarbeiter an einem umfassenden Befreiungsprozess, in dem er selber Befreiung erfährt und mindestens ebensoviel empfangen wie geben kann.“

Auch die Ausbildung der Patres, Brüder und Schwestern in den Orden und Kongregationen vermittelt eine ganzheitliche Sicht von Mission. Ebenso wird auf die Kulturbegegnung vorbereitet. Schon das Konzil hat den Wert der einheimischen Kulturen hervorgehoben und die Missionare verpflichtet, ihnen mit Offenheit zu begegnen. Die „Inkulturation“ – die Einwurzelung des Glaubens in den Kulturen der Dritten Welt – ist auch ein Hauptthema bei den Kursen für Missionsurlauber, die von der Missionskonferenz in Zusammenarbeit mit der MIB vorbereitet werden. Auch altgediente Missionare werden hier mit der neueren Missionstheologie und Praxis vertraut gemacht.

Wer versucht eine Bilanz zu ziehen, wie weit die neuen Einsichten innerhalb der Schweizer Kirche zum Durchbruch gekommen sind, wird nicht nur Erfolge verbuchen können. Ein diözesaner Missionsbeauftragte klagte uns: „Das neue Missionsverständnis geht bei vielen nicht in die Köpfe hinein. Als ich an einer Dekanatskonferenz davon sprach, hatte ich nur staunende Gesichter vor mir. Ich stand wie vor einer Mauer.“ Daneben aber gibt es unzählige Pfarrer und Laien, die sich der weltweiten Dimensionen des Christseins bewusst sind und eine ganzheitliche Missionsarbeit unterstützen. Noch Ende der sechziger Jahre galten die „Dritt-Weltler“ an manchen Orten als Phantasten. Heute wissen erfreulich viele Christen, dass „katholisch“ die Übersetzung von „weltweit“ ist und dass zur Welt auch die südlichen Kontinente gehören. Sie spüren ihre Mitverantwortung für ein menschenwürdiges Leben aller Menschen.

Walter Ludin