Die Mission ist tot – es lebe die Mission

Und es ist wahr. Nur noch selten reisen Männer und Frauen aus, um sich für die Mission zu engagieren. Auch in der Missio-Gastkirche 2012 von Tansania, wo einst über hundert Schweizer Kapuziner tätig waren, sind es heute nur noch eine Handvoll. Die Provinz wird längst von Einheimischen geleitet. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei vielen Ordens- und Missionshäusern auf der ganzen Welt.

Martin Brunner
Martin Brunner

Und das ist gut so! War es denn nicht das erklärte Ziel, lokale und selbständige Kirchen und Werke aufzubauen? Was damals gepflanzt wurde, ist inzwischen herangewachsen. Natürlich gäbe es noch viel zu tun! Natürlich schmerzt es, wenn Werke aufgegeben werden müssen oder in nun ganz anderer Weise fortgeführt werden. Und doch sollten wir uns darüber freuen, dass es diese Mission je länger je weniger braucht. Das heisst gleichzeitig, dass trotz allen Defiziten viel erreicht wurde. Dass lokale Kräfte vorhanden sind, die nun selber das Heft in die Hand nehmen wollen.

Übergabe ist nie leicht. Zu viel Herzblut wird oder wurde in Werke, Pfarreien und Institutionen gesteckt. Die Missionarinnen und Missionare haben sich vielerorts so sehr engagiert, dass sie Teil ihrer Gemeinden und Wirkungsorte geworden sind. Das zeigen zum Beispiel die Bethlehem Missionare, die ihren Lebensabend in Driefontain, Simbabwe verbringen. Sie wollen nicht mehr zurückkommen. Sie sind Afrikaner geworden. Das wird vor Ort durchaus anerkannt. Ich erinnere mich an die eindringlichen Worte des Priesters Bernard Macadani Zulu, dem Missio-Direktor aus Sambia: «Vergesst nicht, dass die Missionare in unserer Erde begraben sind!» Wer Afrika etwas kennt, der weiss, was er damit meint: Die MissionarInnen sind Teil ihrer Ahnenfamilie geworden.

Mission in alle Richtungen

Wenn ich von der toten Mission spreche, dann meine ich die einseitig nord-süd oder nord-ost gerichtete Mission. Mission geht heute in alle Richtungen: süd-süd und auch süd-nord. Eindrücklich erlebt habe ich das in der bibel-pastoralen Arbeitsgruppe der Grosspfarrei Our Lady of Guadalupe in Nairobi, wo ich bis 2009 tätig war. Die Mitglieder waren eine chinesische Laienmissionarin, ein indischer Priesteramtskandidat, eine eritreische Franziskanerin, eine mexikanische Laienmissionarin, ein kenianischer Seminarist und eine kenianische Laiin. Ich war der einzige Europäer. Es braucht hier nicht speziell erwähnt zu werden, dass die Diskussionen in der Arbeitsgruppe äusserst spannend und bereichernd waren.

Noch etwas. Haben wir in der Zeit der missionarischen Euphorie des vergangenen Jahrhunderts vielleicht die Mission «exportiert» und dabei vergessen, dass es auch eine Mission bei uns gab und gibt? Erinnern Sie sich noch an die Volksmissionen oder Missionswochen in ihrer Pfarrei? Ich habe sie nicht mehr erlebt. Haben wir denn vor lauter missio ad gentes (Sendung zu den Völkern) die missio ad nos (Sendung zu uns) vergessen? Das ist eine Frage, die sich in Europa dringend stellt.

Kooperation und Austausch

Und es braucht die Mission in Lateinamerika, Afrika, Asien und Ozeanien immer noch. Wir haben den noch jungen lokalen Kirchen keine einfachen Aufgaben überlassen. Manchmal haben wir ihnen sogar – trotz guter Absicht – Steine in den Weg gelegt. Beispielsweise mit zu grossen Infrastrukturen. Oder weil wir es versäumt haben, die einheimischen Christinnen und Christen genügend zu lehren, wie sie ihre Kirche selber tragen können – auch materiell. Mission ist heute als Kooperation und Austausch zu verstehen. Die Kirchen begegnen sich auf Augenhöhe, in Partnerschaft statt Patenschaft, ohne versteckte Paternalismen.

Wir brauchen einander. Die universale Kirche verfügt über einen grossen Reichtum an Ausdrucksformen, Ideen, Methoden und Ritualen. Wir sollen und müssen unsere Schätze füreinander öffnen. Manche Kirchen können mehr geben, andere weniger, und wieder andere brauchen grosse Solidarität. Schliesslich können wir nur miteinander Kirche sein. Und was für die Kirche gilt, das gilt auch für die ganze Menschheit. Den grossen Herausforderungen, die sich der Welt – die ja ein Dorf ist – stellen, kann nur im Zusammengehen aller Kräfte begegnet werden. Darin kann die Kirche, und damit eingebunden Missio, mit ihrem weltumspannenden Netzwerk, eine Vorreiterrolle übernehmen.

Martin Brunner-Artho