Die schönsten Namen Gottes?

Franz von Assisi staunt über die Weisheit des Islam, den er 1219 im Nildelta kennenlernt. Und er schreibt danach sein eigenes Gedicht mit den schönsten Namen Gottes! Es überrascht mit weiblichen Namen!

Nach einer rabbinischen Geschichte schildern Schüler einen Meister ihre Schwierigkeiten, das biblische Bilderverbot zu halten. Die jüdische Tora verbietet es Gläubigen, sich von Gott ein Bild zu machen. Wenn auch nicht materiell, so male sich doch jeder Mensch in seiner Vorstellungskraft unweigerlich Bilder von Gott! Nach längerem Nachdenken antwortete der Rabbi, es gebe nur einen Weg, sich von Gott kein Bild zu machen: sich möglichst viele Bilder des Ewigen vor Augen zu halten! Nur so lasse sich verhindern, dass wir Menschen Gott auf ein Bild fixieren, ihn auf unsere Vorstellungen einengen und dabei klein von ihm denken.

Begegnung von Franziskus mit Sultan al-Kāmil 1219 in Ägypten: Ikone von Laura Goeldin de Tiefenau aus dem Atelier der Klarissen von Jongny in Frankreich | Foto © Niklaus Kuster

Die islamische Religion verbietet Bilder Gottes ebenso – und kommt der Weisheit des jüdischen Rabbi mit den „99 schönsten Namen“ Gottes gleich. In der siebten Sure, „al-Araf“ (Die Höhen) heisst es: „Und Gott hat die schönen Namen – ruft ihn damit an! Und achtet nicht auf jene, die seine Namen leugnen!» (Koran 7:180). Von Muhammad sagt eine ausserkoranische Überlieferung zudem: „Wahrlich, Gott hat neunundneunzig Namen, einen weniger als hundert. Wer sie aufzählt, geht ins Paradies.“ Tatsächlich finden sich im Koran mehr als 100 Namen für Allah. Die Beschränkung auf «99 schönste Namen» lässt Raum für das Geheimnis, für das der unbekannte hundertste Name steht.

Franz von Assisi kehrt tief beeindruckt von der Weisheit der 99 Gottesnamen in seine christliche Welt zurück. Vier Jahre später schreibt er auf La Verna seine eigene Namen-Gottes-Litanei. Sie überrascht für damals wie auch in der Moderne, denn der Mystiker fügt beherzt ein, was er sowohl in der islamischen Gottesrede wie in seiner eigenen Kirche vermisst: weibliche Namen Gottes. Die weiblichen Gottesattribute, die Franziskus für seinen Gefährten Leo auf La Verna notiert, lauten im originalen Latein und in moderner Poesie:

Lobpreis Gottes

(inspiriert von den «99 schönsten Namen Gottes» im Islam von Franziskus für Bruder Leo auf La Verna gedichtet)

Tu es sanctus, Dominus                      Heilig bist du, Herr,

Deus solus                                              einziger Gott,

qui facis mirabilia.                              der du Wunderbares vollbringst!

Tu es fortis,                                            Stark bist du,

Tu es magnus,                                       groß

Tu es altissimus                                    und über alles erhaben!

Tu es omnipotens,                                Du vermagst alles,

Tu Pater sancte,                                   Du, heiliger Vater,

rex coeli et terrae.                                dem Himmel und Erde gehorchen.

Tu es trinus                                           Über uns, mit uns, in uns –

et unus,                                                  und doch einzig,

Dominus Deus deorum                      Gott und Herr alles Göttlichen!

Tu es bonum                                         Du bist das Gute!

omne bonum                                        alles Gute (ist dein),

summum bonum                                 Du, höchstes Gut,

Dominus Deus vivus et verus!          Gott und Herr – lebendig und wahr!

 

tu es amor                                             Leidenschaftliche Liebe – Du

caritas                                                    zärtliche Liebe

tu es sapientia                                      kostende Weisheit – Du

tu es humilitas Du –                           erdnahe Gegenwart

tu es patientia Du                                – Kraft im Leiden

tu es pulchritudo                                 Schönheit – Du

tu es securitas                                      Sicherheit – Du

tu es quietas                                         Du – erfüllte Ruhe

tu es gaudium et laetitia                   Du – Wonne und Freude

tu es spes nostra                                  Du – unsere Hoffnung

tu es iustitia                                          Gerechtigkeit – Du

et temperantia                                     und Besonnenheit!

tu es omnia divitia nostra                 Du erfüllst uns

ad suficientiam                                    mit deinem Reichtum!

tu es pulchritudo                                 Du – Schönheit

tu es mansuetudo                                Sanftheit – Du

tu es protector                                      Du – Beschützer

tu es custos et defensor                      Du – Wächter und Verteidiger

tu es fortitudo                                      Stärke – Du

tu es refugium                                      Zuflucht – Du

tu es spes nostra                                  Du – unsere Hoffnung

tu es fides nostra                                 Du – unsere Glaubenskraft

tu es caritas nostra                             Du – unsere Liebe

tu es tota dulcedo nostra                   Du – unsere ganze Süßigkeit

tu es vita aeterna nostra                   Du – unser Leben in Ewigkeit!

 

magnus et admirabilis                       Groß und bewundernswert (bist du)

Dominus Deus omnipotens,              Herr und Gott, stärker als alles,

misericors Salvator.                           beherzt zugewandter Erlöser.

 

Eben erschienen:

Niklaus Kuster, Spiegel des Lichts. Franz von Assisi – Prophet der Weltreligionen, Würzburg (Verlag Echter) 2019, ISBN: 978-3-429-05428-1

Das Buch in der Reihe „Franziskanische Akzente“ würdigt 800 Jahre franziskanischen Brückenbaus zwischen den Religionen.

 

 

 

Titelblatt und Rückseite des neuen Buches von Niklaus Kuster | © Verlag Echter.

Vor genau 800 Jahren schloss Franz von Assisi Freundschaft mit dem Sultan von Ägypten. Das Buch verdeutlicht biografisch und spirituell, was Franziskus bis heute zu einem Propheten des Miteinanders von Kulturen und Religionen macht. Die Heiligen Büchern der Weltreligionen sprachen von der Verwandtschaft aller Menschen. Perlen christlicher und islamischer Mystik ermutigen dazu, von anderen Religionen zu lernen. Zehn franziskanische Optionen zur Begegnung der Religionen ermutigen dazu, die multikulturelle und -religiöse Welt als Chance zu nutzen. Titel und Inhalt des Buches zeigen sich überzeugt, dass echte Religiosität Wege des Lichts weist. Keine Form von Fundamentalismus, Gewalt und Zwang ist inspiriert oder gottgefällig. Die Friedensgebete der Religionen in Assisi und die historische Erklärung von Abu Dhabi, die Papst Franziskus und Muhammad al-Tayyeb, höchste Lehrautorität des sunnitischen Islam, im Februar 2019 „zur Geschwisterlichkeit aller Menschen“ unterzeichneten, bestätigen in der heutigen Welt aus höchster Instanz, was Franziskus und al-Kamil damals anbahnten.

Das Buch kostet im Buchhandel 9.90 €. In der Schweiz ist es vom Autor signiert und zum halben Preis erhältlich (6 CHF plus Briefpostporto).

 

 


Niklaus Kuster

Niklaus Kuster, geb. 1962, ist Kapuziner der Schweizer Ordensprovinz. Er studierte Geschichte und Theologie und promovierte in Spiritualität. Seit 20 Jahren lehrt er Kirchengeschichte und Spiritualität an der Universität Luzern und den Ordenshochschulen Münster und Madrid, ist in der franziskanischen Forschung tätig, begleitet Kurse, Reisen und Intensivzeiten, ist Buchautor und Mitarbeiter verschiedener Zeitschriften.