„Ein freundliches und verständnisvolles Herz für Flüchtlinge“

Aus dem Brief des Ordensgenerals Mauro Jöhri

„Ich war ein fremd und obdachlos, und ihr habt mich aufgenommen.“ (Mt 25,35)

 

Liebe Brüder Minister,

in den letzten Monaten, fast täglich, haben wir Bilder von verzweifelten Menschen gesehen, auch Bilder des Todes, und wir haben Nachrichten gehört, die uns Geschichten von Männern, Frauen und Kindern erzählen, die aus ihrer Heimat fliehen, vertrieben von Krieg, von Armut; Menschen, die in ihren Herzen die Hoffnung auf eine bessere Zukunft tragen. Diese Brüder und Schwestern haben eine lange und gefährliche Reise hinter sich, die sie hauptsächlich in die Länder Europas führt. Sie haben Gefahr, Zurückweisung, Gewalt und Tod erfahren. Wir haben bereits den Überblick verloren, wie viele Leben das Mittelmeer geschluckt hat bei dem Versuch der Menschen, das Meer von Nordafrika aus zu überqueren. Diese Reisen sind von skrupellosen Personen organisiert, die für die Überfahrt in alten Booten oder unsicheren Schlauchbooten enorme Geldsummen einfordern, Boote, die normalerweise über die zuge- lassene Grenze hinaus gefüllt sind. Wir haben die Körper Erwachsener und Kinder gesehen, die leblos im Wasser treiben, gesehen Männer und Frauen, die sich selbst verletzten als sie Stacheldrahthindernisse überqueren, lange Menschenschlangen, die auf europäischen Straßen wandern auf der Suche nach Arbeit, Beständigkeit und Frieden. Inmitten dieser dramatischen Flucht, halten viele Menschen die Hoffnung auf Solidarität am Leben. Die Regierungen verschiedener Länder organisieren ein würdevolles Willkommen.

Papst Franziskus hat oft starke Worte gebraucht, die, so hoffe ich, jeden von uns dazu bewegt haben, ein freundliches und verständnisvolles Herz für die Immigranten und Flüchtlinge zu haben. Zeitweise haben seine Worte feindselige Reaktionen und Kritik hervorgebracht, die in Egoismus und Rassismus wurzeln. Aber die größte Sünde, in die wir fallen können, ist Gleichgültigkeit!

Es ist genauso wie mit dem Priester und dem Leviten in der Parabel des barmherzigen Sama- riters: Angesichts eines verwundeten Mannes ziehen sie an ihm vorüber. In diesen Monaten habe ich oft an das Kapitel 25 des Matthäus Evangeliums gedacht, in dem Jesus vom jüngsten Gericht spricht. In den Versen 34 bis 40 spricht Jesus von einer echten, leibhaftigen Liebe; er spricht von Menschen, die zu essen und zu trinken geben, besuchen, trösten, aufnehmen: „Ich war ein fremd und obdachlos, und ihr habt mich aufgenommen.“ (Mt 25,35).

Es ist wichtig für unseren Glauben, dass die Worte Jesu unsere Herzen erreichen: „Amen, ich sage euch: Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ (Mt 25,40). Ich will Euch danken, Minister und alle Brüder des Ordens, für all die unzähligen Male, in denen ihr die Worte Jesu konkretisiert habt, durch Nächstenliebe und Solidarität. Damit haben wir Minderen Brüder Kapuziner wundervolle Seiten zur Ehre Gottes geschrieben und werden sie weiter schreiben.

Die Massenflucht der Menschen fordert uns in unserer Berufung als Mindere heraus, setzt auf unsere Nächstenliebe, auf unser kreatives Handeln, um so angemessen darauf zu antworten.

Papst Franziskus sagte während des Angelusgebetes am vergangenen 6. September:

„Konfrontiert mit der Tragödie von abertausenden von Flüchtlingen, die vor Tod, Hunger und Krieg fliehen, und die eine Reise angetreten haben, die von Überlebenshoffnung getragen ist, ruft uns das Evangelium zu, Nächste („Nachbarn“) der Kleinsten und Verlassenen zu sein, und ihnen echte Hoffnung zu geben. Es ist nicht genug zu sagen: „Seid tapfer. Seid geduldig“ … Christliche Hoffnung hat einen kämpferischen Geist, mit der Hartnäckigkeit eines Menschen, der auf ein klares Ziel zugeht … Möge jede Gemeinde, jede religiöse Gemeinschaft, jedes Kloster, jeder Wallfahrtsort Europas eine Familie willkommen heißen, beginnend mit meiner Diözese von Rom.“

Ich bin überzeugt, dass in vielen Brüdergemeinschaften und Gemeinden, die unseren Brüdern anvertraut sind, schon viele Initiativen vor Ort stattfinden, gerade auch als Antwort auf die Einladung unseres Papstes. Lassen wir uns von dieser Anfrage herausfordern und versuchen wir, gemeinsam eine angemessene und abgestimmte Antwort zu geben.