Indische Armut und Gastfreundschaft

Nach einem frühmorgendlichen Inlandflug (ausgehend von New Dehli) ganz in den Osten von Indien, Assam – eine «Missionsgründung» von Kerala aus – ging es gleich in ärmlichem Landgebiet per Auto von Kapuziner-Station zu Station mit ihren Schuleinrichtungen vom «Kindergarten» bis zur Oberstufe, meist getragen von Schwesterngemeinschaften. Ein Dispensaire mahnt an die Tücke der hier stark verbreiteten Malaria, wenn nicht schnell genug eingegriffen werden kann und zeigt, dass Mission «umfassend» gelebt wird.

Matriarchal geprägt

Einfache Hütten – auch Schulzimmer – aus Bambus, zwei Kochstellen für über hundert Schulkinder, aufwändige Hand- und Landarbeit erinnerten mich an einen Haiti-Besuch bei meiner Schwester. Hier kommt hinzu, dass bereits nach einer Viertelstunde Fahrt wieder eine völlig andere Sprache gesprochen wird und so die Zusammenarbeit erschwert. Das erste Mal weilte ich sogar in einem matriarchal geprägten Gebiet. Ebenso verschieden ist die religiöse Situation wechselnd von 1 bis zu 85% Christen unter Muslimen, Hindus oder Adivasi. Es hat mich beeindruckt und überzeugt, wie hier unter schwierigen und einfachsten Bedingungen Schulbildung und damit Zukunft ermöglicht wird.

Erstickende Umweltbelastung

Ein besonderes Erlebnis war für mich mein selbständiger Ausreisser nach dem geschichtsträchtigen Cochi, u.a. mit der Grabstätte von Vasco da Gama. Die Stimmung am Meer mit den chinesischen Fischernetzen wäre romantisch. Doch sie wird schnell erstickt durch die überall augenfällige Umweltbelastung. Deren zukünftiges Ausmass bei sich steigerndem Lebens-Standard lässt sich erahnen, wenn man hinter einem Bus herfährt und von Papierbechern der Fahrgäste, die offensichtlich gerade mit einem Getränk erfrischt wurden, eingedeckt wird.

Ich fände es eine spezifisch franziskanische Sendung, in diesem Schöpfungsbereich in Indien – und andern Ländern der Welt – tätig zu werden, ganz nach dem Motto: hier eine Müllverbrennungsanlage zu bauen wäre tausend mal effizienter als bei uns sehr teuer die letzten Abgase herauszufiltern… Es muss ja nicht gerade eine Verbrennungsanlage sein, aber…

Unbekanntes Bier

Was überall ähnlich war, waren die herzlichen Empfänge, z.T. mit Tanz, Trommel, Tambourin und Gesang, immer begleitet von extra reich gedecktem Tisch. Für europäische Mägen, die scharfes weniger mochten, gabs stets zusätzlich Hähnchen, Kartoffeln, Kabis, Spiegelei und Toastbrot, öfters sogar Bier – was bei den indischen Wintertemperaturen von 25-30 Grad, inkl. nachts, auch ich gerne annahm. Dass das nicht üblich ist, konnte ich daran ablesen, dass die jüngeren Studenten und Kandidaten, die servierten, nicht wussten, wie das Bier einzuschenken war.

«Unterstützt durch die Kapuziner»

Immer wieder wurde bei der Begrüssung vermerkt und gedankt, wie viel die Schweizer Kapuziner gespendet haben. Einem aufmerksamen Auge fällt das auch sonst auf, denn an Kirchen, Wasserwerken, Studienhäusern, Klöstern und der eigenen Universitätsbibliothek hängen Tafeln: «Unterstützt durch die Kapuziner von Luzern» u.ä.. Das liess in mir das mulmige Gefühl vom «reichen Onkel aus Amerika» oder dem «Besuch der alten Dame» von Dürrenmatt aufkommen, mit der Frage des «armen Reichen», ob das alles seinetwegen oder nur seines Geldes wegen sei? In besonders ärmlichen Gegenden und auf einsamen Posten war unser Besuch deutlich als Zeichen der Anerkennung und Wertschätzung zu spüren und die Freude entsprechend gross.

Spenden für Nothilfe

Spannend und überzeugend war für mich, wie für Sozialwerke Geld generiert wird, da Antoniuskassen und Briefspenden nicht so selbstverständlich «fliessen» wie bei uns. Hier gab es einen sorgfältig gepflegter Marien-Wallfahrtsort, dort die Förderung der Verehrung der Grabstätte eines seligen Terziars mit besonderer Betreuung von (kinderlosen) Ehepaaren und Familien, an einem andern Ort ein spirituelles Zentrum, das eher nach «evangelikalem Stil» betrieben wird und jeden Freitag viele Leute anzieht – und überall kommen dadurch auch Spenden für Nothilfe zusammen: für Notunterkünfte für Obdachlose, für «Suppenküchen» mit Hunderten von Essen, für ein Altersheim für verwaiste arme Leute.

Sozialprojekt Druckerei
Sozialprojekt Druckerei

Wir besuchten auch mehrere Druckereien. Eine blieb mir besonders in Erinnerung, wo die Kapuziner ermöglichen, dass Frauen auf einfachste Art Schulhefte drucken und von Hand zusammennähen. Die Frauen werden dann am Gewinn beteiligt und können so ihre Familien durchbringen.

Sozialprojekt Druckerei
Sozialprojekt Druckerei

Andere Druckereien werfen Gewinn ab, der dann in soziale Projekte investiert wird. Da liegt die Bitte nach finanzieller Solidarität für eine effizientere und modernere Offsetdruckmaschine auf der Hand, um Gutes wirken zu können. Im gleichen Atemzug denkt man dann aber wieder an Betriebe wie die viel einfachere Druckerei der Frauen, wie lange dann diese im noch härteren Konkurrenzkampf bestehen kann! Aber in all diesen sozialen Einsatzbereichen begegnete mir Freude, Sinn, Schwung und Überzeugungskraft unseres franziskanischen Charismas.

Armut und Reichtum

In einem Reiseführer las ich, das Spezielle an Indien sei, dass Armut und Reichtum so krass nebeneinander leben: und tatsächlich, da sah ich selbstverständlich Ochsenkarren neben Chevrolets, auf dem Markt Marien- und Heiligenstatuen neben Buddhas und Shivas, die Einfahrt zu einer Go-Kart-Bahn neben Frauen, die «von Hand» Steine zu Kieseln zerschlagen, usw.. Ich wünsche und träume, dass dieses selbstverständliche Nebeneinander von äusserster Armut und höchstem Reichtum, von dreckigster Umgebung und höchst aufwändig besorgtem Mittelstreifen des Highways  uns in Europa erspart – und in Indien behoben werden kann.

Br. Josef Haselbach, Wil