In alten Kirchen …

… unter mächtigen Bäumen

Viele Menschen sehnen sich heute nach einem Ort, wo sie Kraft schöpfen können. Wer solche Plätze finden und erleben will, geht am einfachsten in alte Kirchen und unter mächtige Bäume. Hier lassen sich die Weisheit der Natur und die Präsenz des Göttlichen besonders deutlich spüren. Ein Erfahrungsbericht.

Zusammen mit meiner Frau habe ich im Jahr 2004 in Bosnien-Herzegowina den Marien-Wallfahrtsort Medjugorje aufgesucht. Gegen Abend, als die grossen Pilgerströme den Erscheinungsberg verlassen hatten, bemerkten wir, wie sich unser Empfinden in der ruhig gewordenen Umgebung der überlebensgrossen Marienstatue veränderte.

Während des Sonnenuntergangs entstand eine allumfassende wohltuende, friedvolle Stimmung. Stehend schloss ich meine Augen, leerte mit tiefen Atemzügen meinen Kopf und breitete die Arme aus. Und ehe ich mich versah, strömte er daher: dieser weisse Energiestrom vom Himmel, der sich wie ein kraftvoller Wasserfall in meine beiden Hände ergoss und mein Wesen mit Licht, Kraft und Leichtigkeit erfüllte.

Das Gute vor der Haustür

Und dann kam das Frappierende: In meinem Innern vernahm ich deutlich eine mütterliche Stimme: «Es freut mich, dass ihr beide euch von so weit her zu mir bemüht habt. Aber wisse: Solche Orte der göttlichen Verbundenheit gibt es auch bei dir zu Hause, in deinem Alltag. Kehre zurück und suche sie dort zu finden und dir nutzbar zu machen.»

Seither suche ich in meiner nächsten Umgebung Orte der Erholung und Heilung, der Inspiration und der Erkenntnis zu entdecken und lasse sie auf mich wirken. Denn es ist faszinierend und erfüllend zugleich, wenn die Membran zwischen den verschiedenen Dimensio nen des Seins plötzlich durchlässiger wird.

Kraftvolle Kirchen und Kapellen

Viele Kirchen und Kapellen wurden in früheren Jahrhunderten an natürlichen Kraftorten erbaut. Damals verfügten die Menschen noch über dieses Wissen, das zum Beispiel auch beim Bau der wundervollen Kathedrale von Chartres grundlegend war. Durch die über Generationen gefeierten Gottesdienste und persönlichen Gebete veredelten die Christen diese Stätten weiter. Sie vermochten deren Energie so zu erhöhen, dass sie heute noch körperlich zu spüren ist. Weile ich in einem solchen Gotteshaus und stimme mich auf den Ort ein, dann beginne ich meist schon nach kurzer Zeit zu gähnen: 10–15-mal in kurzen Abständen, und dies nicht etwa aus Müdigkeit, sondern weil die starke Energie Kopf und Körper entspannt und mich für das Hier und Jetzt empfänglicher macht.

So nicke ich vor der Einsiedler Gnadenkapelle gegen meinen Willen immer wieder ein, weil die gottesmütterliche Präsenz auf mich umhüllend und beschützend wirkt. In der Klosterkirche Fischingen TG entdecke ich, dass die daran anschliessende Sankt- Idda-Kapelle nicht der einzige Kraftort ist. In der benachbarten Sankt-Katharina-Kapelle ist ein ähnlich hoher Energiepegel wahrzunehmen, wohl das Ergebnis der dort von den versammelten Benediktinermönchen mehrmals täglich in Achtsamkeit und Liebe verrichteten Chorgebete.

Der Geist des Ortes hilft mit

In der reformierten Nydeggkirche der Berner Altstadt finden immer wieder Salbungsgottesdienste statt. Dabei kommen bei den mit einem christlichen Segensspruch beschenkten Gläubigen immer wieder körperliche und seelische Heilungsprozesse in Gang. Zu diesem Heilwerden trägt auch der Geist des Ortes, der Genius Loci, bei. Die Nydeggkirche liegt nämlich auf einem Felsen in der Aareschlaufe nahe am Fluss. Beide Naturelemente strömen hier seit Jahrhunderten ihre belebenden Energien aus.

Setzt man sich immer wieder solchen energetischen Hotspots (Höhepunkten) aus, kann man mit der Zeit ganz unterschiedliche Energiequalitäten spüren: zum Beispiel Kräfte, die mich mit dem Kosmos verbinden und solche, die mich in der Erde verankern; Kräfte, die mich hellwach werden lassen und solche, die in mir ein wohliges Dämmern hervorrufen.

Bäume schenken Energie

Neben Sakralräumen lassen uns auch mächtige und charaktervolle Bäume an ihrer Kraft teilhaben. Nähere ich mich jeweils einem solchen Baum, begrüsse ich ihn und bitte, er möge mich seine Kraft spüren lassen. Dann setze ich mich an seinen Stamm, schmiege mich an ihn an oder umfange ihn. Der körperliche Kontakt hilft mir, meine Gedanken loszulassen und mich ganz ins Hier und Jetzt zu begeben. So öffne ich mich sachte den Empfindungen, die kommenkönnen, kommen dürfen, aber nicht kommen müssen. Und dies in Gelassenheit und ohne Zeitdruck.

Da erlebe ich bei der mächtigen Stouffeneiche bei Heimenschwand BE mütterliche Geborgenheit, die mich zu Tränen rührt und in meine Kindheit zurückversetzt. Unter der 1000-jährigen Gärstler Eibe nahe der Lueg im Emmental erfahre ich hingegen Gelassenheit und Ruhe, die Zuversicht schenken. Bei der  aussergewöhnlichen Linde neben dem Inselheim in der Stadt Bern nehme ich eine starke Verbindung zum Göttlichen wahr. In mir steigt das Bild der Engelsleiter aus Jakobs Traum auf. Glücklich die Kinder der dortigen Tagesstätte, die in diesem erhabenen Bereich spielen dürfen!

Nach solch tiefgreifenden Erfahrungen verabschiede ich mich vom Baum mit einem herzhaften Dankeschön und gebe ihm etwas zurück, was dem Menschen eigen ist: Liebe und Dankbarkeit.

Keine Überdosis tanken

Starken Kraftplätzen darf man sich aber auch nicht zu lange aussetzen. Seit meinem frühmorgendlichen Besuch der Klosterruine Rüeggisberg BE beschränke ich mich auf rund eine Stunde. Dort war ich vom Ort so fasziniert, dass ich mich von ihm über meine Verhältnisse aufladen liess. Mein Herz begann in der Folge unregelmässig zu schlagen und vermochte während Tagen nicht mehr zum normalen Sinus-Rhythmus zurückzukehren.

Achtsamkeit ist auch gefordert, wenn ein kraftvoller Ort negativ ausstrahlt. So wurde es mir im Chor der Kirche von Heimiswil BE sterbenselend, weil mir die dort bis heute gespeicherte Angst und Ohnmacht der vom Chorgericht verurteilten Täufer in die Knochen fuhr. Sie waren an dieser Stelle abgekanzelt worden.

In der eigenen Wohnung?

Hat man mit dem Erspüren von Kraftorten etwas Erfahrung gesammelt, liegt ein nächster Schritt nahe: in der eigenen Wohnung einen energetisierten Platz aufzubauen. Dazu benötige ich einen möglichst ruhigen und schlichten Raum oder eine unmöblierte Ecke, wo ich mich wohl fühle.

Zur Unterstützung und Sammlung wähle ich einen mir wertvollen Gegenstand, etwa einen klaren Bergkristall, das Kreuz von Franz von Assisi, eine Darstellung des Abendmahls von Leonardo da Vinci oder die Herzzeichnung der Heilerin Emma Kunz. Dann halte ich mich jeden Tag für einige Minuten an diesem Ort auf, bete und meditiere. Und mit meinem beharrlichen Üben wird die heilsame Energie stärker, sie wird spürbar, sie erfüllt mich, und sie beginnt weiter auszustrahlen.

Georg Ledergerber (unter Mitarbeit von Ida-Maria Ledergerber)

Zum Weiterlesen: Pier Hänni
Wege zu Orten der Kraft.
Plätze der Erholung, Inspiration und
Heilung selber finden,
AT Verlag, 2006, 184 Seiten,
Preis: CHF 29.80,
ISBN: 303800278X.