Lebenslust und Lebensmut aus der Kraftquelle Musik

In meiner Kindheit habe ich mich immer gefreut, wenn die Dorfmusik aufgespielt hat. Das brachte mich in Bewegung. Spontan ahmte ich den Dirigenten nach und fuchtelte in der Luft herum. Daran habe ich mich wieder erinnert, als mir auf der Strasse ein kleines Mädchen mit einem Kinderwägelchen aufgefallen ist. Begleitet von der Mutter hat es sein «Gefährt» das Trottoir aufwärts gestossen. Da fuhr ein Auto vorbei, aus dem laute Rockmusik tönte. Sofort begann das Mädchen zu tanzen und liess das Wägelchen fahren. Dieses rollte das Trottoir hinunter und landete in einem Strassengraben. Das Kind achtete nicht darauf, sondern gab sich ganz dem musikalischen Erleben und Tanzen hin.

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Musik versetzt in Bewegung. Das zeigen die wogenden Massen an Open-Air-Konzerten. Zu den Events strömen Scharen von Menschen. Noch bevor die Musik erklingt, versetzt sie schon alle in Bewegung. Und erst recht, wenn sie loslässt, entwickelt die Musik eine so immense Schubkraft, dass in der Masse der Leute eine gewaltige Welle entsteht. Musik und Tanz beflügeln und beglücken. Viele Menschen, die von den Umständen im Alltag gefangen gehalten sind, suchen bei Open-Air-Festivals Befreiung und schöpfen wieder Lust und Mut zu Leben.

Musik löst innere Bewegung aus
Der Mensch braucht etwas, das ihn in Stimmung bringt. Für viele Menschen ist das die Musik. Von Mozart stammt der kurze Satz: «Ohne Musik wär‘ alles nichts.» Mit Mozart sind wir bei der Klassik. Auch diese Musik zieht unzählige Menschen an. Das beweisen die vollen Säle der Elbphilharmonie in Hamburg und des KKL in Luzern und andernorts.

Der Klassik verdanken wir unsterbliche Werke, die in den Menschen vor allem eine innere Bewegung auslösen, eine Faszination des Herzens, manchmal ein Glücksempfinden, das über das Irdische hinausreicht. Josef Krips, Dirigent und Violinist, schrieb: «Beethoven erreicht in manchen seiner Werke den Himmel, aber Mozart, der kommt von dort

Schon viel früher hat Martin Luther die Musik mit der himmlischen Welt in Verbindung gebracht: «Wer sich die Musik erkiest, hat ein himmlisch Werk gewonnen; denn ihr erster Ursprung ist von dem Himmel selbst genommen, weil die lieben Engelein selber Musikanten sein.»

Musik strahlt heilende Kraft aus
Die Bibel (1 Sam 16,16ff) erzählt, wie der kranke Geist König Sauls durch Harfenspiel geheilt wurde: «Der Geist des Herrn war von König Saul gewichen. Jetzt quälte ihn ein böser Geist, der vom Herrn kam. Saul sagte zu seinen Dienern: Seht euch für mich nach einem Mann um, der die Harfe zu spielen versteht. Bringt ihn her zu mir! Einer der jungen Männer antwortete: Ich kenne einen Sohn Isais in Betlehem, der das Harfenspiel beherrscht. Der Herr ist mit ihm. Da schickte Saul Boten zu Isai und liess ihm sagen: Schick mir deinen Sohn David, der bei den Schafen ist. Isai nahm einen Esel, dazu Brot, einen Schlauch Wein und ein Ziegenböckchen und schickte seinen Sohn David damit zu Saul. So kam David zu Saul und trat in seinen Dienst; Saul gewann ihn sehr lieb. Sooft nun ein Geist Gottes Saul überfiel, nahm David die Harfe und spielte darauf. Dann fühlte sich Saul erleichtert, es ging ihm wieder gut und der böse Geist wich von ihm.»

Dass Musik, im Besondern die klassische Musik, heilt, beweist die moderne Musiktherapie. Diese wird unter anderem mit Erfolg bei Alzheimer angewandt.

Franziskus – der Sänger Gottes
Franziskus war von Jugend an mit Lied und Musik vertraut. Sein Vater hatte als Tuchhändler Beziehungen zu Frankreich. Möglichweise ist Franziskus mit den französischen Liedern, die er auch nach seiner «Bekehrung» noch anstimmte, durch seinen Vater bekannt geworden. Celano, der erste Biograph des heiligen Franziskus, schreibt: «Zuweilen machte er es so: Wenn der Geist in seinem Innern in süsser Melodie aufwallte, gab er ihr in einem französischen Lied Ausdruck, und der Hauch des göttlichen Flüsterns, den sein Ohr empfangen hatte, brach in einen französischen Jubelgesang aus. Manchmal hob er auch, wie ich mit eigenen Augen gesehen habe, ein Holz vom Boden auf und legte es über seinen linken Arm, nahm dann einen kleinen, mit Faden bespannten Bogen in seine Rechte und führte ihn über das Holz wie über eine Geige. Dazu führte er entsprechende Bewegungen aus und sang in französischer Sprache vom Herrn.»

Singende Vögel
Die legendären Fioretti erzählen, wie Franziskus «singend und den grossen Gott lobend» umherzog. In der Nähe von Venedig sah und hörte Franziskus einen zwitschernden Vogelschwarm. Er sagte zu seinen Gefährten: «Unsere Schwestern, die Vögel, loben ihren Schöpfer. Darum wollen wir zu ihnen gehen und im Stundengebet dem Herrn lobsingen.»

Nicht nur die Geschöpfe der Natur gaben ihm Anlass zum Singen, sondern besonders auch die Begegnung mit dem Wort Gottes. Als er einmal die Heilige Schrift öffnete, stiess er auf eine Stelle, die die Passion Christi ankündigte. Er schloss das Buch und öffnete es ganz «zufällig» mehrmals wieder. Immer war der Inhalt derselbe. Er schloss daraus, dass die Leiden Christi der besondere Ort seiner Beziehung zu Christus sein mussten. Es kam ihm vor wie ein verborgener Ratschluss.

Celano schreibt: «So blieb er unerschüttert und froh und sang vor sich und vor Gott Lieder der Freude im Herzen.» Gerade in schweren Leiden blieb Franziskus ein unverwüstlicher Sänger Gottes. «In den Tagen, da er wegen der Heilung seiner Augen in Rieti weilte, rief er einen seiner Gefährten, der in der Welt ein Lautenspieler gewesen war, und sagte zu ihm: ‹Bruder, ich möchte, dass du dir insgeheim eine Laute leihst und sie hierherbringst. Dann dichte ein gutes Lied, mit dem du meinem von Schmerzen geplagten Bruder Leib einigen Trost geben kannst.›»

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Als Franziskus sterbenskrank im Bischofshaus der Stadt Assisi lag, bat er seine Brüder, frohe Loblieder anzustimmen. Das gefiel nicht allen. Bruder Elias tadelte den Sterbenden, er könnte durch den fröhlichen Gesang bei den Leuten einen schlechten Eindruck erwecken. Franziskus müsse doch jetzt den Ernst des Todes erkennen und schweigsam tragen. Darauf antwortete Franziskus: «Lass es nur zu, Bruder, dass ich mich in meinen Krankheiten im Herrn und an seinen Lobpreisungen freue …» Franziskus blieb Sänger, der auch im Sterben Gottes Lob sang.

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In den Schriften des heiligen Franziskus begegnet man öfters Textabschnitten, die dichterisch geformt sind. Ganz besonders poetisch geprägt sind seine Lobgebete. Spezielle Erwähnung verdient der berühmte Sonnengesang. Es ist erstaunlich, unter welchen Umständen Franziskus diesen Lobgesang der Schöpfung geschaffen hat. Franziskus litt schwer an verschiedenen Krankheiten. Aber die innige Gemeinschaft mit Gott gab ihm die Kraft und die Freude zu solchem Lobpreis.

Am besten – wenn möglich – selber musizieren
Heutzutage können wir jederzeit ab Tonträgern Musik hören. Radio, Computer, Tablet und CD ermöglichen es. Manche Menschen lassen sich ständig berieseln. Dieses passive Musikkonsumieren ist fragwürdig. Bei solcher Übertreibung macht Musik eher stumpf und oberflächlich, als dass sie Kraft und Lebenslust verleiht.

Besser wäre es, man würde nach Möglichkeit selber Musik machen. Leider haben nicht alle die Chance, ein Instrument zu spielen. Aber den meisten steht das wichtigste «Instrument», ihre menschlichen Stimme zu Verfügung. Singen kann heilende Wirkung haben. Natürlich muss man sich bewusst machen, was es dazu braucht. Die richtige volle Atmung und die Lockerung des ganzen Körpers, Dehnung und Entspannung. Besonders entspannt müssen Mund und Rachen sein. Kein Pressen und Drängen, kein Zwängen und Klemmen, sondern sich lockern und entkrampfen. Wenn das körperlich gelingt, dann verspürt man bald auch eine innere Befreiung, ein ganzmenschliches Aufatmen, Lebensmut und Freude am Leben, für das Christsein auch Dank und Lobgesang.

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Zum Schluss noch einmal ein Mozart-Wort: «Ich lege mich niemals zum Schlafen nieder, ohne zu bedenken, dass ich den nächsten Tag vielleicht nicht mehr erleben werde. Und doch könnte keiner meiner Bekannten sagen, dass ich im Umgang mit ihnen stur oder verdriesslich sei – und für diese Quelle des Glücks danke ich meinem Schöpfer jeden Tag und ich wünsche meinen Mitmenschen von ganzem Herzen dasselbe.»

Raphael Grolimund