Mit den Menschen

Den Menschen und ihren Nöten nahe sein: Dies ist ein Grundzug der franziskanischen „Mission“.

… leben ist wichtiger als reden

Andreas Müller, der Gründer und langjährige Leiter der Missionszentrale der Franziskaner in Bonn, über Mission aus franziskanischer Sicht:

Es braucht keine grosse Phantasie, um zu erahnen, worauf es ankommt. Nicht mit Worten, nur mit unserem Sein werden wir die Menschen überzeugen. Es ist unsere Aufgabe, die Utopie des Gottesreiches modellhaft vorzuleben. Sonst wird die Botschaft des Evangeliums allzu schnell zur naiven Träumerei. Mitten unter den Menschen sollen wir durch unser Leben von einem Gott künden, der für die Armen Partei ergreift.

«Unser Grundauftrag ist – besonders im heutigen Weltmassstab – die unerschrockene und vom langen Atem der Hoffnung getragene Weitergabe der Verheissung von Gottes Liebe und Befreiung für alle Armen und alle in einer strukturell ungerechten Welt arm gemachten Menschen. Menschen sind für die Kirche nicht Objekte pastoraler oder sozialer Assistenz, sondern Subjekte ihrer eigenen Befreiung.» (H. Schalück).

Diesen Menschen müssen wir nahe sein, in liebevoller Aufmerksamkeit und mit geschwisterlicher Zuneigung. Es geht darum, den in die Niederungen menschlicher Armseligkeit herabgestiegenen Gott zu bezeugen, durch unser Leben. Nur dann werden die Leute voller Staunen fragen: Warum tut ihr das? Woher nehmt ihr eure Zuversicht und Freude, eure Ruhe und Gelassenheit, den Mut zum prophetischen Zeugnis und die Kraft zu einem alternativen Lebensstil? Denn das alles ist gefragt, wenn es darum geht, die Idee des Gottesreiches zum Leben zu bringen, in der Politik, in der Gesellschaft, in der Kirche. Das alles gehört zum Missionsauftrag heute. Die Armen brauchen uns, sonst erhalten sie keine Chance zum Leben, und die ganze Schöpfung braucht uns, sonst wird sich die Umweltzerstörung nicht zum Besseren wenden.

Unter denen, die danach fragen, warum wir das tun, sollen wir – so ist uns franziskanischen Menschen aufgetragen – einfach antworten: «Weil wir Christen sind». In einem solchen Lebenszeugnis erfahren und erleben wir die Einbindung des Menschen in die Heilsgeschichte Gottes. Das ist der eigentliche Auftrag, den wir als Christen in Kirche und Gesellschaft zu leisten haben.

… an Franziskus Mass nehmen

Franz von Assisi gilt allgemein als der Erneuerer und Retter der Kirche im ausgehenden Mittelalter. Und das als Laie, ohne theologische Ausbildung und ohne besonderes Mandat.

Für seinen radikalen Weg in den Fussspuren des Jesus von Nazareth hatte er keine kirchliche Beauftragung. Die Aussätzigen waren es, die ihm die Augen öffneten. Das war ihm so wichtig, dass er sich am Ende seines Lebens, als er sein Testament diktierte, zuerst daran erinnerte. All seinen Nachfolgern wolle er in Erinnerung bringen, dass damit alles begann: sein Standortwechsel aus dem reichen Assisi an den Rand der Stadt, sein neues Leben auf der Seite der Armen als konsequente Nachfolge des armen Jesus von Nazareth. Das war für ihn der Schlüssel zum Verständnis des Evangeliums, die alles entscheidende Erinnerung an den Gekreuzigten. Fortan wollte er nichts anderes als ihm begegnen und nahe sein – im leidenden Bruder und in der leidenden Schwester.

Er gründete keinen Priesterorden zur Erneuerung der Kirche und kein Seminar zur Ausbildung von Missionaren. Die Brüder, die ihm folgten, sind ihm einfach nachgelaufen. So wie er wollten sie das Evangelium leben, ob Priester oder Laien, in einer armen Brudergemeinschaft, alle mit den gleichen Rechten und alle mit dem gleichen Auftrag, nämlich der ganzen Welt das Evangelium vom gütigen, demütigen und menschenfreundlichen Gott zu bringen. Wie ernst ihm das war, zeigen seine Anweisungen an die Brüder, die in die Mission gehen wollten. Sie sollten unter den Menschen dort (den Sarazenen) einfach leben, ihnen untertan sein, nicht streiten und dadurch zeigen, dass sie Christen sind. Das war Franziskus wichtig als das Predigen. Und das ist mehr als erstaunlich in einer Zeit, in der nach allgemeiner theologischer Überzeugung Bekehrung und Taufe über Rettung und Verwerfung, über Heil und Unheil entschieden. Predigen sollen die Brüder nur, so schärft es ihnen Franziskus ein, «wenn sie sehen, dass es Gott gefällt». Er will damit sagen: die Prediger müssen auf ein Zeichen Gottes warten, bevor sie mit dem Predigen beginnen können. Sie sollen ja nicht Besitzer des Wortes sein, sondern zuerst hören und herausfinden, «wann es Gott gefällt». Denn auch Predigen kann zur Unzeit geschehen und mehr verwirren, als zum Heil dienen.

… und mit welchem Mandat?

Wer kann einem solchen Anspruch gerecht werden? Oder anders gefragt: Wen meint Franziskus und mit welcher Autorität spricht er? Franziskus beruft sich immer auf seine innere Stimme, die ihm Gewissheit gibt: «Gott selbst hat mir offenbart…» Das gilt für seine Berufung, das gilt aber sicherlich auch für seine Missionsidee, die für das damalige theologische Denken ganz ungewöhnlich war. Was damals war und was für Franziskus galt, gilt auch heute noch. Die blosse Beauftragung durch Weihe und Sendung reicht nicht aus für einen Boten der Frohbotschaft. Wer nicht innerlich glüht, kann die Welt nicht entzünden. Wer Gottes Stimme nicht in sich spürt, wird schwerlich fähig sein, ihn unter den Menschen zu bezeugen. Nach Franziskus’ Meinung gilt das für Priester und Laien, für Männer und Frauen. Sie alle sind berufen und beauftragt, das Evangelium zu bezeugen. Nur wenn wir das beherzigen und geschwisterlich miteinander umgehen, überzeugt das Evangelium. Und Laien sind dann keine «Lückenbüsser», sondern einfach Schwestern und Brüder, denen die gleiche Sorge für das Reich Gottes anvertraut ist. Bleibt noch die Frage nach dem kirchlichen Amt. Franziskus hat seine innere Stimme immer bestätigen lassen durch den hl. Stuhl und sich so vergewissert, dass sie der Wille Gottes ist. Das gilt für jeden, der Gottes Reich bezeugen will. Es ist Gott, der beruft und der sendet. Aber er lässt Berufung und Sendung bestätigen durch sein Heilszeichen auf Erden, die Kirche. Also wird es immer darauf ankommen, dass die Kirche selbst zu einer Herzenssache wird. Das gilt auch dann, wenn wir an ihr leiden. Sie ist nicht das Reich Gottes, sondern nur das Sakrament für seine Vermittlung. Sie ist Menschen anvertraut, also auch menschlich und sündig. Und doch dürfen wir die Gewissheit haben, dass wir uns auf Gottes Zusage verlassen können.