Salz der Erde – nicht Zuckerguss

Der Dialog des Christentums mit den anderen Religionen bedeutet keine Absage an die Mission, wie viele Christen immer noch argwöhnen. «Mission» bedarf für mich überhaupt keines Imperativs. Sie lebt spontan aus dem Indikativ der Wahrheit. Die Wahrheit hat es nun einmal in sich, aus sich herauszugehen: «Wir können es nicht lassen, von dem zu reden, was wir gesehen und gehört haben.»(Apostelgeschichte 4,20)

Damit verlagert sich der Akzent der missionarischen Praxis von der absichtlichen Bekehrung des Einzelnen zum selbstverständlichen Zeugnis in der Gesellschaft. Dass Jesus aus Nazareth für sie der Weg, die Wahrheit und das Leben ist und sie ihn darum als den Christus Gottes bekennen, das können die Christen nur bezeugen, indem sie ihm von Herzen nachfolgen und so seinen Lebensweg in die Welt hinein fortsetzen, ohne die Heilswege der anderen Religionen verächtlich zu machen. Nur durch solche «Erweise des Geistes und der Kraft» können sie die Einzigartigkeit ihrer Religion dartun.

Befreit vom Absolutheitsanspruch, hat die Christenheit heute die Aufgabe und die Chance, eine «schöpferische Minderheit» innerhalb der Weltgesellschaft zu bilden. Weder sollen die Christen die Erde erobern noch sich der Welt anpassen – beides haben sie lange genug getan –, sondern sie sollen in sie hineingehen und sich auf sie einlassen, als «Salz der Erde», nicht als ihr Zuckerguss. Die Eigenschaft des Salzes besteht nicht darin, eine Speise zu verwandeln und zu verfremden, sondern den ihr eigenen Geschmack hervorzubringen. So sollen auch die Christen als das Salz der Erde die Welt nicht verchristlichen oder gar verkirchlichen. Die Vorstellung von einer in sich geschlossenen christlichen oder gar kirchlichen Welt ist für mich ein Alptraum – damit wäre die Welt gründlich versalzen. Vielmehr sollen die Christen als das Salz der Erde den Menschen zu dem ihnen eigenen Geschmack verhelfen, zu ihrer göttlichen Bestimmung, dass sie werden, was sie von ihrem Ursprung her sind: Menschen, Erde, Welt – mit einem Wort, Gottes gute Schöpfung. Kann es denn etwas «Höheres» geben als dies?

Das Christentum wird in dem Masse Zukunft haben, als es für die Zukunft der Menschen und der Erde einsteht: dass auf Erden Gerechtigkeit walte, Friede herrsche, Freiheit bestehe und die Schöpfung erhalten bleibe. Vielleicht geschieht es dann, dass andere das Zeugnis der Christen als eine Einladung verstehen und erwidern: «Davon wollen wir euch weiter hören.»

Heinz Zahrnt (1915-2003)

Protestantischer Theologe und Publizist