Tisch. Brot. Wein. Kerze.

ANKOMMEN 
Ein weiss gedeckter Tisch steht in der Klosterkirche mit Brot, Wein und einer Kerze.
Der Tisch ist bereitet, um ein Mahl zu feiern.
Nur eines fehlt: die Menschen.
Die Bänke sind leer. Kein Husten und Räuspern, kein Schnaufen und Schauen,
kein Singen und Beten,
rein gar nichts ist zu hören.

Tisch © Beat Pfammatter, 2020

Ich stehe im leeren Kirchenraum, schaue und höre mich um.
Waren da nicht näherkommende Schritte zu vernehmen?
Wird gleich die Türe aufgehen… kommen da etwa doch noch Gäste?
Nein, ich weiss: die Gäste werden heute Abend definitiv nicht kommen!
So stehe ich da und lausche  in die Stille hinein.

Tisch. Brot. Wein. Kerze.
Und weit und breit keine Menschenseele.
Ohne Menschen, ohne Mahl-Gemeinschaft macht ein solcher Tisch keinen Sinn.
Dieses Mahl lebt ja immer vom miteinander Essen und Trinken,
vom gemeinsamen sich Erinnern an Jesus, an sein letztes Mahl,
an seine hoffnungsvollen Worte und seine befreienden Zeichen,
es lebt doch von der sich abspielenden Dynamik zwischen den im Abendmahlssaal Versammelten,
lebt vom Hören und Schauen auf dieses Geschehen;
lebt doch von meinem inneren Nachempfinden und Nachgehen,
von dem, was damals geschah und immer heute in meinem, unserem Jetzt geschieht:
Trennungsschmerz und Angst,
Unsicherheit und Ohnmacht,
kostbare Nähe geteilter Augenblicke,
Fusswaschung,
Verrat und –
Aufbruch in die Lebens-Nacht, ins Lebens-Licht.

Nichts von alledem,
nichts bleibt uns vom letzten Abendmahl,
nur ein menschenleerer Kirchenraum und
ein weiss gedeckter Tisch.
Brot. Wein. Kerze.

Krug © Beat Pfammatter, 2020

ERINNERN 
Aber Brot und Wein muss man doch teilen,
gerade heute Abend muss man es doch tun,
     «um einander daran zu erinnern,
     dass Jesus alles mit uns geteilt hat,
     dass er, der Auferstandene,
     auch seine Zukunft mit uns teilen wird;

     um einander Mut zu machen,
     auch materielle und immaterielle Güter
     miteinander zu teilen,

     in der Hoffnung auf das Reich,
     auf Gerechtigkeit und Frieden,
     wo alle werden teilhaben dürfen
     an der Freundschaft.» frei nach Kurt Marti

Tisch. Brot. Wein. Kerze. –
in einem menschenleeren Raum – das reicht einfach nicht aus.
Denn es braucht das Wort
und es braucht die Stimmen und die Nähe anderer, die ich spüren kann –
und sei es nur die Wärme der Hand beim Friedensgruss,
und sei es nur ein flüchtiger, freundlicher Blick,
und sei es nur ein scheues Lächeln beim Kommen oder Gehen …

HÖREN 
Dieses erste Mahl ist eben anders als jedes andere Mahl,
weil mehr geschieht, als dass Christen Brot und Wein teilen.
Die Geschichte jedenfalls, die zu diesem besonderen Abend gehört,
erzählt Folgendes (Markus 14,17-26):
Als es Abend wurde, kam Jesus mit den Zwölf. Während sie nun zu Tisch waren und assen, sagte Jesus: Amen, ich sage euch: Einer von euch wird mich ausliefern, einer, der mit mir isst. Da wurden sie traurig und einer nach dem andern fragte ihn: Doch nicht etwa ich? Er sagte zu ihnen: Einer von euch Zwölf, der mit mir in dieselbe Schüssel eintunkt.
Der Menschensohn muss zwar seinen Weg gehen, wie die Schrift über ihn sagt. Doch weh dem Menschen, durch den der Menschensohn ausgeliefert wird! Für ihn wäre es besser, wenn er nie geboren wäre.
Während des Mahls nahm er das Brot und sprach den Lobpreis; dann brach er das Brot, reichte es ihnen und sagte: Nehmt, das ist mein Leib.
Dann nahm er den Kelch, sprach das Dankgebet, gab ihn den Jüngern und sie tranken alle daraus.
Und er sagte zu ihnen: Das ist mein Blut des Bundes, das für viele vergossen wird.
Amen, ich sage euch: Ich werde nicht mehr von der Frucht des Weinstocks trinken bis zu dem Tag, an dem ich von Neuem davon trinke im Reich Gottes. Nach dem Lobgesang gingen sie zum Ölberg hinaus.

Die Geschichte erzählt vom Verrat des Judas,
sie erzählt von der Sorge der Jünger verdächtigt zu werden,
sie erzählt von der Aussicht auf eine neue, andere Gemeinschaft…

Und – es geht um Aspekte, die auch unser Leben,
gerade in diesen Tagen und Wochen, auf besondere Weise prägen:
Es geht um die Zerbrechlichkeit unseres Da-Seins,
     «ein winziges Stück RNA
     erinnert die Krone der Schöpfung 
     an ihre Sterblichkeit
     alle Welt gerät in Panik
     man hatte das tatsächlich
     vergessen» Andreas Knapp
und – es geht um die Gefährdung von Nähe und Gemeinschaft,
es geht um die Sehnsucht und die Vorstellung auf ein neues Miteinander,
ein Miteinander, das auf Vertrauen und Hoffnung baut –
ein Miteinander, das in der Lebensweise der Liebe gründet!

Leere Kirche © Beat Pfammatter, 2020

Da steh ich nun,
etwas verloren in einem menschenleeren Kirchenraum.
vor einem weiss gedeckten Tisch mit Brot, Wein und einer Kerze.
Muss ich mir, müssen wir uns dieses Mahl in diesem Jahr nehmen lassen
von einem kleinen infektiösen Partikel, der, wie es heisst,
im Gegensatz zu Bakterien, Pflanzen, Tieren,
nicht einmal zu den Lebewesen gehört, da dieser keinen Stoffwechsel betreibt
und ohne die Hilfe einer fremden Zelle nicht zur Fortpflanzung fähig ist?

DEN TISCH BEREITEN 
Nein! Ich lasse mir dieses Mahl,
ich lasse mir die Eucharistie (d. h. die DANKSAGUNG),
diesen Teil zumindest, lasse ich mir von einem kleinen infektiösen Partikel nicht nehmen.
Ich verlasse den Kirchenraum und ziehe mich in mein Zimmer zurück.
Zwischen Alltagsgegenständen bereite ich mir
meinen «Altar», mit Brot, Wein und einer Kerze.

DAS MAHL 
Zuerst lausche ich auf die Stille,
anschliessend nehme ich das Brot in meine Hände
(vielleicht mögen Sie das auch tun, alleine oder mit Ihren Mitbewohner*innen zusammen)
und schaue es an, das Brot, rieche und befühle es und
richte dann mein Ohr nach Innen und vergegenwärtige mir all das,
was mir in meinem Jetzt, in meinem momentanen Leben
Nahrung, Stärkung und Lebenskraft ist – und ich danke!
(Wenn Sie nicht alleine sind, können Sie vielleicht etwas davon den anderen mitteilen?)
Ich esse das Brot und lasse es mir schmecken.

Dann nehme das Glas mit dem Wein der Freude in die Hand,
schaue den Wein an und stecke meine Nase ins Glas,
lasse mir mit geschlossenen Augen den Duft des Weines die Nase
und das Gemüt beflügeln. (P.S. Es sollte möglichst ein guter Tropfen sein!)
Dann richte ich mein Ohr nach Innen und vergegenwärtige mir all das,
was mir in meinem Jetzt, in meinem momentanen Sein, Freude bereitet,
mich mein Leben -trotz allem- lust- und freudvoll erleben lässt – und ich danke!
(vielleicht mögen Sie auch an dieser Stelle mit Ihren Mitbewohner*innen zusammen)
Ich nehme einen Schluck vom Wein und verkoste ihn und
schmecke dem Abgang nach auf Zunge und Gaumen.

Bürotisch © Beat Pfammatter, 2020

AUSKLANG 
Tisch. Brot. Wein. Kerze.
Wer weiss, vielleicht sind wir inzwischen viele geworden,
die heute Eucharistie (Danksagung) feiern.

 «In vielen Händen
Geschenktes Brot
Kleine Stücke
Grosse Stücke
Und jede und jeder isst
Und teilt dankbar mit: Stärkung!
Und teilt mit: was freudvoll und gut leben lässt
Strömt über
…  
Leben und Freude
Hoffnung für alle
Brot und Wein
Lass diesen Kelch
Du grosses Geheimnis des Lebens
Nicht
An mir vorübergehen.» frei nach Maria Sassin

 


Beat Pfammatter

Br. Beat Pfammatter, geb. 1966. Ausbildung in geistlicher Begleitung, Exerzitien-, und Meditationsleitung. Wohnt und arbeitet im Kapuzinerkloster Luzern. Ist dort für neue Formen im Bereich Spiritualität und Liturgie zuständig. Nebenbei künstlerische Tätigkeit.