Walbert Bühlmanns 100. Geburtstag

Der bekannte Missionswissenschaftler wäre am 6. August 100 Jahre alt geworden. Hier eine Würdigung, die 2007 in der Schweizerischen Kirchenzeitung/SKZ als Nekrolog erschien.

Walbert Bühlmann (1916 – 2007)
Der 1916 als Sohn eines Metzgermeisters in Gerliswil bei Luzern geborene Kapuziner Walbert Bühlmann war – so darf man ohne Übertreibung festhalten – weltberühmt. Ich konnte es auf meinen journalistischen Reisen öfters erfahren. Beispielsweise im australischen Outback, in einer lateinamerikanischen Favela oder in einem afrikanischen Buschdorf: Wenn ich mich als Schweizer Kapuziner vorstellte, wurde ich immer wieder auf meinen Mitbruder angesprochen. Meistens fand ich in den Büchergestellen eines oder mehrere der 32 Werke des Missionstheologen.

Weltkirchliches Denken
Diese Bücher strahlen einen offenen, toleranten Geist aus, der Bühlmann erst im Verlaufe seines Lebens geschenkt wurde. Er bekennt, dass er als Missionar nach Afrika ging, um „gottlose Heiden“ vor dem ewigen Verderben zu retten. In Tansania wurde er durch die Einheimischen eines Bessern belehrt: „1951: Ein ‚Heide’, der im Sterben lag, antwortete auf meine Frage, wie viele Götter es wohl gebe, entschieden: ‚Es kann keine Götter geben. Es gibt nur einen Gott.’“

Solche Erlebnisse bedeuteten für den Missionar den Anstoss zu einem neuen theologischen Denken. Er wurde in der Folge nicht müde, den Wandel von der Droh- zur Frohbotschaft weiten Kreisen zu bezeugen: „Jahrelang konnte ich in Artikeln, Büchern und Vorträgen verkünden, dass Gott vom Uranfang bis heute ein Gott aller Menschen ist und auch den ‚Heiden‘ seine Huld und Liebe schenkt.“
Als Missionstheologe prägte Bühlmann den Begriff „Von der Westkirche zur Weltkirche“. Diese Entwicklung beschrieb er in seinem zweifellos bedeutendsten Werk „Wo der Glaube lebt. Einblick in die Lage der Weltkirche“. Es erschien 1974 vor Beginn der Weltbischofssynode und erregte sogleich internationales Aufsehen. Die darin enthaltene Prognose, dass sich das zahlenmässige Schwergewicht der katholischen Kirche immer mehr in den Süden der Erde verlagert, hat sich inzwischen erfüllt. Doch weitgehend ungehört blieb die Mahnung am Schluss seines Bestsellers: „Mit nichts schadet man der Kirche und ihrer Mission mehr als durch Festhalten-Wollen an geschichtlich bedingten Formen.“
Darum kämpfte Walbert Bühlmann unerschrocken für eine tief greifende Inkulturation der christlichen Botschaft. Als er kurz nach seinem 80. Geburtstag nochmals in Tansania war, zeigte er sich darüber enttäuscht, dass die dortige Kirche sich immer noch zu sehr am römischen Einheitsmodell ausrichtete. In der Zeitschrift ite (er war lange Zeit ihr Redaktor gewesen) schrieb er dazu: „Echte Inkulturation wird erst zustande kommen, wenn den verschiedenen Kontinentalkirchen mehr Eigenständigkeit zugestanden und nicht alles in 10 000 Kilometern Distanz entschieden wird.“

Mitbegründer des Fastenopfers
Walbert Bühlmann war nicht nur ein Theoretiker. Als Praktiker leistete er gewichtige Beiträge für das kirchliche Leben; dies vor allem als Mitbegründer des schweizerischen Fastenopfers. Er gehörte zum Vierer-Team, das im Zusammenhang mit dem Missionsjahr 1960/61 den Anstoss zur Gründung dieses pionierhaften Werkes gab, zusammen mit Meinrad Hengartner, dem späteren Basler Bischof Otto Wüst und dem Immenseer Missionar Walter Heim.

Während des Beerdigungsgottesdienstes für Bruder Walbert bemerkte der frühere Fastenopfer –Direktor Ferdinand Luthiger in seiner Abdankungsrede: „Schon damals wusste man um die schriftstellerische Begabung von Walbert Bühlmann und um seine Fähigkeit, komplizierte Sachverhalte auf verständliche Art und Weise darzulegen. Deshalb wurde er mit der Redaktion einer Bildungsmappe betraut, der er den Titel ‚Der ewige Befehl in der heutigen Zeit’ gab.“ Die fundierte und in den Pfarreien breit abgestützte Bildungsarbeit hat nach Luthiger wesentlich dazu beigetragen, dass naiv-traditionelle Missionsvorstellungen allmählich verschwanden und einem realistischeren Missionsbild Platz machten.

Bruder Walbert hat auch später als Mitglied der 15-köpfigen Expertenkommission Mission des Fastenopfers das Werk mitgeprägt. Aufgrund seiner Erfahrung und seiner missionswissenschaftlichen Kenntnisse hat er wertvolle Impulse geliefert für die missionarische Ausrichtung des Hilfswerkes, dem er bis zu seinem Tod treu blieb; zuletzt als Mitglied der ökumenischen Fastengruppe in Olten und im Fastenopfer-Freundeskreises.

Brücke zum Islam
Dass Bühlmann mit fast 90 Jahren bereit war, auf neue Entwicklungen zu reagieren, beweist sein Engagement für den muslimisch-christlichen Dialog. Von Olten aus, wo er bis zu seiner plötzlichen Erkrankung lebte, nahm er freundschaftliche Kontakte auf zum Imam der grünen Moschee im benachbarten Aarburg. „Ganz bewusst im Ordensgewand“, wie er unzählige Male erzählte, besuchte er einen islamischen Gottesdienst. Es kam im Kloster zu einem Gegenbesuch des Islams, der bei der Abschiedsfeier für Walbert spontan ein Dankeswort sprach.

„Nicht austreten“
Freimut war ein Markenzeichen des innovativen, streitbaren Kapuziners. „Kirchenkritiker“ war das Etikett, das ihm öfter angehängt wurde. Dass er seine Meinungen frisch und frank äusserte, machte ihn zu einem Feindbild fundamentalistischer Katholiken. Auch im Vatikan machte er sich damit nicht nur Freunde. Während seiner Zeit als Generalsekretär für missionarische Animation des Weltordens in Rom hatte er an päpstlichen Universitäten Lehraufträge – bis diese ihm ohne Begründung entzogen wurden.

Trotz allen Anfechtungen und Widerständen: Bruder Walbert verlor bis zum Tod nicht seinen unerschütterlichen Optimismus und sein gelassenes Lächeln. Kirchenkritischen Zeitgenossen hinterliess er sein immer und immer wieder geäussertes Vermächtnis: „Auftreten statt austreten!“

Walter Ludin