Was meinen wir, wenn wir heute von Mission reden? (II.)

Weiter im Text von Ernstpeter Heiniger

Kirche und Mission teilen ähnliche Zielsetzungen: der Welt ihre grundsätzliche Ausrichtung auf das Reich Gottes hin zu erschliessen, aus dieser Reich-Gottes-Erwartung heraus zu leben, die Wirklichkeit in der Erwartung des Reiches Gottes zu gestalten und sie ihrer ganzheitlichen Befreiung zuzuführen. Mission vollzieht sich so nicht in „einem existentiellen Abseits zur Geschichte“, sondern öffnet der Welt die Augen für das, wozu sie immer schon bestimmt war und worauf sie insgeheim immer schon ausgerichtet ist und bleibt. Als Aufgabe verbleibt, der Welt ihre eigentliche Bestimmung zu erschliessen und sie in Erwartung der verheissenen Zukunft zu gestalten. Als Wegweiser in die Zukunft wird Mission zur treibenden Kraft bei der Neuschöpfung der Welt im Reich Gottes.

Damit wird klar ausgesagt: Die Kirche hat ihren Bezugspunkt nicht in sich selbst, sie existiert auch nicht um ihrer selbst willen. Ihr Ziel, das sie mit der Welt teilt, ist „das Heil der ganzen Welt‘, das Reich Gottes. Sie ist Verkündigung und Wegbereitung des Reiches Gottes zugleich.

Insofern Mission auf die letzte Bestimmung der Menschheit aufmerksam macht und zur Umgestaltung der Welt in Erwartung des kommenden Reiches Gottes einlädt, ist eine Art Entgrenzung gegeben. Mission kann weder geographisch auf bestimmte Teile der Welt, noch thematisch auf einige religiöse Inhalte eingegrenzt werden. Die Welt als ganze ist Missionsgebiet, d.h. die Ausrichtung auf das Reich Gottes ist in der Vielfalt unterschiedlichster Kontexte zur Sprache zu bringen. Alle Gebete, alle Situationen und Lebensbereiche sowie alle Erfahrungen haben sich am alles erneuernden Befreiungshandeln Gottes zu orientieren. Mission zielt auf eine Umgestaltung der Welt, die einer „ganzheitlichen Befreiung“ gleichkommt.

Obwohl es Mission nicht um Kirche geht, ist Kirche nicht belanglos für die Mission. Mission und Kirche sind vielmehr austauschbare Begriffe: Kirche ist Mission und Mission ist Kirche, Reich-Gottes-Botschaft. Aber Kirche bleibt notwendig, weil sie der Welt ihre eigentliche Bestimmung und Ausrichtung auf das Reich Gottes hin erschliesst und diese zur Gestaltung der Gegenwart im Horizont des Reiches Gottes hindrängt. Kirche hat eine Funktion als Subjekt missionarischen Handelns und ebenso als Zeichen des von der Mission intendierten Reiches Gottes. Als Subjekt des missionarischen Handelns ist sie die Reich-Gottes-Botschafterin, d.h. Gesandte, die nicht sich selbst verkündigt, sondern das Reich Gottes. Es ist die Kirche, welche die Welt auf ihre eschatologische Bestimmung hinweist und dafür Zugänge schafft. Entscheidend bleibt dabei, dass sich die Kirche der Welt nicht als das Ziel präsentiert, sondern als Zeichen, das auf das Reich Gottes hinweist.

Was meinen wir, wenn wir heute von Mission reden? Eine vorläufige Antwort auf die eingangs gestellte Frage ergibt sich in einem mosaikartiges Zusammenfügen der einzelnen Teilüberlegungen: Mission ist der Selbstvollzug der Kirche, durch den sie die Welt ausdrücklich auf ihre Bestimmung zum Reich Gottes hinweist: Aufgabe der Welt ist es, ihrer Bestimmung bewusst zu werden und ihre geschichtliche Gegenwart im Horizont des Reiches Gottes zu gestalten, um allen ein Leben in Fülle zu ermöglichen.