Wie die Fremde für eine Missionarin zur Heimat wurde

Die Ingenbohler Schwester Laurencia Merz erzählt, wie im Verlaufe der Jahrzehnte sich ihre Arbeit in Brasilien verändert hat.

In uns steigt das Bild von Missionaren und Odensschwestern von früher auf, die ausgezogen sind in weite Ferne, zu Land und zu Wasser, um meistens nie mehr zurückzugekommen. Männer und Frauen lebten das Ja als Antwort auf Gottes Ruf in radikaler und heroischer Weise, wie es eben jene Zeit – ohne mit heute vergleichbaren – technischen Fortschritt forderte. Heute bestaunen und lesen wir die Erlebnisse und Erfahrungen in andersartigen Lebensräumen aus ihren Aufzeichnungen. Den Glaubensverkündern damals wie auch heute blieb ein Leben in einem fremdem Land mit anderer Sprache und unbekannter Kultur nicht erspart.

Aber das äussere missionarische Bild hat sich geändert. Aus meiner persönlichen Erfahrung als Ordensschwester und Missionarin in Brasilien seit 1976 gestehe ich: Auch ich habe in all den Jahren eine Wandlung erfahren. Die für mich fremde Welt Brasiliens ist mir Heimat geworden. Wie kam es zu dieser inneren Wandlung? Es gab vieles zu erfüllen an unausweichlichen Bedingungen: Loslassen des Gewohnten, auch der eigenen Mentalität – nicht predigen und alles schon oder besser wissen wollen – Offenheit dem Neuen gegenüber, der Wirklichkeit mit ihrem System und den sozio-ökonomischen Strukturen des Landes, der Lebensweise der verschiedenen gesellschaftlichen Schichten usw.

Dies forderte von mir guten Willen und dauerndes Studium, auch Aneignen neuer Kulturtechnik: Ich musste mich mit Unbekanntem auseinandersetzen, wollte verstehen und das Fremde lieben lernen. Brasilien mit seinen vielen verschiedenen Etnien, dem Völkergemisch aus Afrika, den Stämmen der Ureinwohner, der Indios, und mit all den Migrierten aus der ganzen Welt – Japanern, Chinesen, Deutschen, Polen, Italienern, Holländern usw. In diese Multikulturalität wächst man nur langsam mit viel Kenntnis, Einfühlung und Verständnis hinein.

Der «religiöse Raum» all dieser verschiedenen Menschengruppen ist vielfältig, vielschichtig und will respektiert sein, was ebenso schwierig ist. Die religiösen Erfahrungen, Spiritualitäten und Mystiken lassen sich nicht einfach unter einem Mantel einfangen. Der Glaube an Gott, an eben ihren Gott, hat verschiedene Ausdrucksformen, welche der MissionarInnen achten und schätzen sollen. Oft ist es aber auch nötig, Unmenschliches oder Unsoziales, das durch Aberglauben verursacht wurde, zu klären und auf Änderungen hinzuarbeiten.

Kirche als ErneuerungsbewegungAls grosse Hilfe und Bereicherung erfuhr ich die Führung und Orientierung der lateinamerikanischen Kirche. Die grossen Konferenzen von Medellin 1968, Puebla 1979, Santo Domingo 1992 und Aparecida/Brasilien 2007 veränderten Strukturen und erschufen Neues betreff Sicht und Priorität. Sie zeigten neue Methoden für die Evangelisierung auf leiteten sie in die Praxis um nach dem Prinzip «Sehen-Urteilen-Handeln». Die Kirche ist missionarisch, und alle Menschen sind durch die Taufe gerufen, VerkünderInnen der Frohen Botschaft von Jesus Christus zu sein.

Papst Franziskus führt diese Forderungen weiter in seiner Verlautbarung «Evangelii Gaudium» (2013), bestätigt sie und wertet unter anderem die Volksfrömmigkeit als Frucht des Evangeliums auf: «Alle Menschen sind Protagonisten der Frohes Botschaft in der heutigen Welt» (EG 122). Von da erhalten wir die evangelische Kraft, um hinaus zu gehen und als Pilger unterwegs zu sein und zu bleiben: «Den Andern die Liebe Jesu bringen, und dies spontan und überall: auf der Strasse, auf Plätzen, bei der Arbeit, auf dem Weg» (EG 127).

Für uns heisst das: auf die Menschen zugehen, ihnen persönlich begegnen, Interesse zeigen für ihre Sorgen, ihr Leben. Es bedeutet Vertrauen schaffen und Hoffnung geben, auf Gottes Liebe aufmerksam machen. Und dies, wo immer wir sind. Solche Erfahrungen mit Menschen sind für Menschen mit einer Mission immer bereichernd und Ausdruck der Gnade Gottes, sein Geschenk.

Mit diesem «neuen Gesicht» meiner Aufgabe versuche ich als Missionarin und Ordensschwester alle Tage unterwegs zu sein zu den Armen in meiner ländlichen Umgebung von São Caetano, Pernambuco Ich fühle mich gerufen und berufen, mitzuwirken, das «innere Feuer» in unseren Herzen wach zu halten und zu hüten, damit die Glut nicht unter der Asche erlischt. Ich bin auch dankbar, dass Gott durch uns viele Menschen mit seiner Liebe und Barmherzigkeit umfangen kann.

* Die Ingenbohler Schwester Laurencia Merz aus Einsiedeln (SZ), geboren 1937, war seit 1978 in Bahia, Brasilien, in pastoralen und sozialen Aufgaben tätig. Seit 2007 lebt sie in Sào Caetano, Pernambuco. Ihr – hier gekürzter –– Beitrag erschien in der Zeitschrift weltweit (2/2015)