Wie sehen die Weltreligionen Jesus?

Mit dieser Frage befassten sich die Deutschschweizer Kapuziner.

Jesus und die Weltreligionen

Exerzitien der Deutschschweizer Kapuziner

 

«Jesus ist neu im Kontext der Weltreligionen zu sehen.» Unter diesem Ansatz standen die Exerzitien der Deutschschweizer Kapuziner im Antoniushaus Mattli, Morschach (20.-24. Nov. 2017). Stephan Leimgruber, lange Zeit Professor für Religionspädagogik in München und bis vor kurzem Spiritual am Seminar St. Beat, Luzern, gab dazu wertvolle Impulse. Da er auf dem Wesemlin, Luzern, zu den zehn «klosternah Wohnenden» gehört, kennt er die Kapuziner aus der Nähe …

Er skizzierte zu Beginn, wie andere Religionen Jesus sehen: Die Juden betrachten ihn als Bruder und Messias, die Muslime als Propheten, die Buddhisten als Weisen und Lehrer, der eine Antwort gibt auf die spirituellen Sehnsüchte der heutigen Welt.

Jesus, «der grosse Bruder»

Im Referat über die jüdische Sicht auf Jesus bemerkte Leimgruber, dass nach Paulus «der Alte Bund niemals aufgelöst wurde». Und: «Ohne Judentum gibt es kein Christentum.»

Der Referent verwies auf zwei jüdische  Denker: Der  Theologe Schalom Ben-Chorin schrieb das berühmte Werk «Jesus, unser Bruder». Darin betont er: «Jesus ist einer von uns – als gebürtiger Jude.» Und Martin Buber meinte: «Jesus habe ich von Jugend an als meinen grossen Bruder empfunden.»

«Seelisberger Konferenz»

In Seelisberg – im Antoniushaus hat man einen direkten Blick auf dieses Urner Dorf – fand vor genau 70 Jahre eine Konferenz statt, mit der kurz nach dem Zweiten Weltkrieg eine neue Epoche des jüdisch-christlichen Verhältnisses begann. Unter den Teilnehmern war ein Westschweizer Kapuziner.

Stephan Leimgruber ging mit den Exerzitienteilnehmern die «Seelisberger Thesen» von 1947 durch. Die ersten beiden lauten:

– «Es ist hervorzuheben, dass ein und derselbe Gott durch das Alte und Neue Testament zu uns allen spricht.

– Es ist hervorzuheben, dass Jesus von einer jüdischen Mutter aus dem Geschlechte Davids und dem Volke Israel geboren wurde, und dass seine ewige Liebe und Vergebung sein eigenes Volk und die ganze Welt umfasst.»

Jesus der Prophet

Ausführlich ging Leimgruber auf das Verhältnis zwischen Muslimen und Christen ein. Er zeigte einleitend ein Bild aus Cordoba, auf dem Mohammed und Jesus eng nebeneinander reiten: Mohammed auf einem Kamel, Jesus auf einem Esel …

Im Koran steht nichts Negatives über Jesus. «Der Sohn Marias» wird als grosser Propheten bezeichnet. Er hat damit den gleichen Rang wie die alttestamentlichen Gestalten Abraham, Hiob, Jona  und («der ägyptische»)Josef.

Der Referent postulierte:

– «Im Dialog zwischen Muslimen und Christen sollen wir das Ähnliche betonen, das Differente klar nennen und respektieren.

– Das Prophetische im Christentum und bei Jesus neu akzentuieren.»

Buddha: Sehnsucht nach Ruhe

Eine Ethik der Nächstenliebe und des Friedens verbindet das Christentum und den Buddhismus, unterstrich Stephan Leimgruber. Die Lehre Buddhas sei für manche Europäer «ein Antwort auf die Sehnsucht nach Ruhe».

Impulse für unsere Frömmigkeit seien

– Bescheidenheit und empfangende Grundhaltung; Hingabe

– sein als hören; betteln: auf andere angewiesen sein,

– Meditative Grundhaltung in einer Welt der Vergänglichkeit.

Interreligiöse Gebete

Ein weiteres Thema der Exerzitien waren die «interreligiösen Gebete». Fotos erinnerten an solche Gebetstreffen, die mit den jeweiligen Päpsten in Assisi und andern Orten auf Weltebene stattfanden.

Stephan Leimgruber, der eine Schrift zum Thema herausgegeben hat, empfahl, dass in den Schulen interreligiös gebetet wird, «ohne Vermischung der Religionen und ohne Vortäuschung einer nicht existierenden Einheit». Ein Effekt dieser Gottesdienste: Man merkt, dass auch die «andern» beten …

Walter Ludin

Literaturhinweis:

Maria Holzapfel-Knoll/Stephan Leimgruber: Gebete von Juden, Christen und Muslimen. Modelle für religiöse Feiern in der Schule. DKV. 978-3-88207-387-4.  2009. 104 S., ca. Fr. 15.90