Ereignisse

Deutschschweiz

Die Kapuziner betrieben in der Deutschschweiz drei Schulen, in Stans, Näfels und Appenzell, die anfangs der 80er bzw. 90er Jahren aufgegeben, bzw. dem Kanton übergeben wurden. In den Jahren um 2010 wurde in den Medien breit über sexuelle Übergriffe in Schulen berichtet. Dabei hat die damalige Ordensleitung erfahren, dass auch in unseren damaligen Schulen Fälle von Übergriffen geschehen sind. Obwohl die beschuldigten Lehrer bereits verstorben waren, haben wir in Zeitungsinseraten in den entsprechenden Kantonen Aufrufe erlassen, in denen mögliche Opfer eingeladen wurden, sich zu melden, bei uns oder bei einer neutralen Stelle, bzw. Anzeige zu erstatten. Es haben sich darauf auch Opfer bei uns gemeldet. Mit einigen konnten wir Gespräche führen und Hilfe anbieten; dabei haben wir auch realisiert, wie nachhaltig die zugefügten seelischen Verletzungen durch sexuelle Übergriffe sich auf ein ganzes Leben auswirken können. Das war für uns Kapuziner eine bittere Erfahrung, für die wir auch öffentlich in den Medien die Opfer um Verzeihung gebeten haben.

Westschweiz

In der Suisse Romande machte der Fall J.A. mehrmals Schlagzeilen. J.A. war in Katechese und Jugendpastoral tätig, dabei kam es zu mehreren sexuellen Übergriffen. 1989 klagte ein Opfer beim damaligen Offizial der Diözese Lausanne-Genf-Freiburg sexuelle Übergriffe an, die er durch J.A. von 1968 bis 1972 erleiden musste. Der Offizial, der Bischof und der Provinzial der Kapuziner unternahmen darauf nichts weiteres, als dass sie den Täter nach Frankreich versetzen liessen. In der Folge wird es in Frankreich zu zwei weiteren Übergriffen kommen. 1995 wurde J.A. in Saint-Maurice das erste Mal gerichtlich angeklagt; die Anklage konnte aber wegen Verjährung nicht weiter verfolgt werden. Im Jahr 2006 wird J.A. in die Schweiz zurückgeschickt, weil sein Verhalten zu weiteren Befürchtungen Anlass gab. J.A. erhält in der Schweiz von den Kapuzinern ein absolutes Berufsverbot und wird im Kloster kontrolliert. Angeregt durch die „Commission SOS Prévention“ der Diözese L-G-F kommt es 2008 in Fribourg zu einer gründlichen, mehrmonatigen gerichtlichen Untersuchung; 22 Opfer konnten identifiziert werden. Schliesslich muss die Untersuchungsrichterin an einer Medienkonferenz erklären, dass alle Fälle verjährt sind und J.A. deshalb nicht schuldig gesprochen werden kann. Nicht so aber in Frankreich; dort wird J.A. angeklagt und in Grenoble 2012 zu zwei Jahren Gefängnis bedingt verurteilt.
In den Jahren davor hatten sich einige Opfer bei uns gemeldet; wir haben versucht auf verschiedene Weisen zu helfen; wir haben in Gesprächen auch versucht, Opfer zur Anzeige zu bewegen; aus achtbaren Gründen, waren diese aber nicht bereit, ihre Situation und ihre Verletzungen vor Gericht auszubreiten. Nach damaligen Regeln sollte man nicht gegen den Willen der Opfer Klage einreichen und eine Gerichtsverhandlung anstreben. Daran haben wir uns gehalten, heute wissen wir, dass dies nicht gut war.
J. A. wurde einmal zu einer bedingten Strafe verurteilt und zweimal wurde in andern Fällen die Verjährung festgestellt. Damit ist der Fall J.A. strafrechtlich abgeschlossen. J.A. lebt heute mit einem absoluten Berufsverbot kontrolliert in einem Kapuzinerkloster in der Schweiz.

Im Jahr 2016 veröffentlicht Daniel Pittet, ein Opfer von J.A. sein Buch „Mon Père, je vous pardonne“. Materiell kommen im Buch keine weiteren Fälle zur Sprache, es werden aber anschaulich und detailreich die Übergriffe geschildert, welche D. Pittet in den Jahren 1968 bis 1972 erleiden musste, wie auch das fehlende Bewusstsein über die Schwere dieser Vergehen und die seelischen Verletzungen, welche ihm angetan wurden. Entsprechend dürftig wirkt dann auch die Massnahme, welche nach seiner Klage 1989 beim Offizial in Fribourg getroffen wurde. Das Buch hat eine grosse Aufmerksamkeit gefunden. Es schien, als kämen diese Vorgänge zum ersten Mal ans Licht. In der Folge haben die Kapuziner eine neutrale Untersuchungskommission eingesetzt, welche die damaligen Vorgängen aus juristischer und zeitgeschichtlicher Sicht nochmals aufarbeiten und prüfen soll.

Die Kapuziner stehen zu den Anschuldigungen, dass durch die damals übliche Praxis im Umgang mit Tätern von sexuellen Übergriffen weitere Übergriffe erst möglich wurden. Um den Ruf der Kirche oder des Ordens zu schonen, versuchte man damals, allein durch interne Regelungen wie Versetzung oder Berufsverbot das Problem zu lösen. Bei Versetzungen wurden die neuen Arbeitgeber zu wenig informiert. Leider wurden auch Hinweise und Meldungen von Opfern zu wenig ernst genommen.

Mit Datum vom 20. Mai 2017 hat die Glaubenskongregation in Rom J.A. von den Ordensgelübden entbunden und aus dem Klerikerstand entlassen. Das bedeutet den Ausschluss aus dem Kapuzinerorden und aus dem Priesterstand. Die Schweizer Kapuzinerprovinz gewährt ihrem ehemaligen Ordensmitglied weiterhin Unterkunft in einem ihrer Häuser.