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Grazie Papa Francesco!

Der Kapuziner Helmut Rakowski berichtet in seinem Nachruf von persönlichen Begegnungen und prägenden Veränderungen mit Papst Franziskus: 
Wir haben beide fast zeitgleich im Vatikan begonnen. Der Erzbischof von Buenos Aires, Jorge Bergoglio, wurde am 13. März 2013 in sein Amt gewählt. Ich begann im August des gleichen Jahres als deutschsprachiger Mitarbeiter im Päpstlichen Rat für die Neuevangelisierung meine Tätigkeit im Vatikan. Zuvor hatte ich bereits 10 Jahre in Rom verbracht, und man konnte merken, dass mit dem Papst „vom Ende der Welt“ etwas Neues angebrochen war. Nicht nur wurde der Stil schlichter und einfacher, die päpstlichen Wagen schrumpften immer mehr, bis hin zum kleinen weißen Fiat 500. Auch die Predigten wurden kürzer und der Papst war plötzlich greifbar. Und das Wichtigste vielleicht: Man konnte im Vatikan und in der Kirche über Dinge sprechen, die vorher undenkbar waren: die Rolle der Frau, das Zölibat, Sexualität… Es wehte ein neuer, frischer Wind.
Es war eine Überraschung, als Jorge Bergoglio zum Papst gewählt wurde. Ein Argentinier, ein Jesuit, der erste Papst, der es wagte, sich den Namen Franziskus zu geben. Und all das war Programm. Von Anfang an bemühte sich Papst Franziskus an die Peripherien zu gehen. Es waren nicht nur die räumlichen Ränder, sondern auch die sozialen Randlagen, für die er sich stets einsetzt. Einen Kardinal aus Tonga in Ozeanen gab es noch nie, genauso wenig wie einen, der als Nuntius in Syrien und damit in einem der Krisenherde dieser Welt tätig ist. Auch seinen „Sozialminister“ machte er zum Kardinal und schickte ihn weiter nachts auf die Straßen Roms, um den Obdachlosen beizustehen. Als Jesuit ging es ihm um die Unterscheidung der Geister, um das Abwägen, um die Suche nach dem, was in dieser Zeit richtig und wichtig ist.
Dem Namen Franziskus wurde er mit seiner brüderlichen Art, seiner Einfachheit und seinem Plädoyer für eine arme Kirche an der Seite der Armen gerecht. Die Enzykliken „Laudato si“ und „Fratelli tutti“ zu den Themen Bewahrung der Schöpfung und universale Geschwisterlichkeit haben außerhalb der Kirche wohl mehr Aufmerksamkeit bekommen und bewirkt als in der Kirche.
Seine erste Enzyklika, die er alleine schrieb, „Evangelii gaudium“ brachte viele Überraschungen. So schrieb er: „Es gibt kirchliche Strukturen, die eine Dynamik der Evangelisierung beeinträchtigen können; gleicherweise können die guten Strukturen nützlich sein, wenn ein Leben da ist, das sie beseelt, sie unterstützt und sie beurteilt.“ (EG 26). Er schrieb, „dass der Beichtstuhl keine Folterkammer sein darf, sondern ein Ort der Barmherzigkeit des Herrn“ (EG 44), dass „die Eucharistie […] nicht eine Belohnung für die Vollkommenen, sondern ein großzügiges Heilmittel und eine Nahrung für die Schwachen“ ist (EG 47). Er wandte sich gegen eine Kirche, die sich um sich selbst dreht und in Strukturen einen falschen Schutz sucht (vgl. EG 49). Prägend bleibt sein Gedanke: „Die Wirklichkeit ist wichtiger als die Idee“ (EG 231–233).
Auch den Stil der Neuevangelisierung prägte er. Hatte Benedikt XVI. als wichtige Schritte zur Erneuerung des Glaubens die Katechese, die Beichte und die eucharistische Anbetung genannt, erweiterte Franziskus dieses Feld. Der Päpstliche Rat zur Förderung der Neuevangelisierung, wo ich tätig war, wurde nach und nach auch verantwortlich für das außerordentliche Heilige Jahr der Barmherzigkeit, den Welttag der Armen und die Wallfahrts- und Pilgerorte. Damit erweiterte der Papst die Neuevangelisierung um die Barmherzigkeit, die Caritas und das Pilgern.
Ich bin Franziskus mehrmals persönlich begegnet. Manchmal war es ein schnelles Händeschütteln, ein Lächeln und ein paar freundliche Worte. Auffällig war, dass Franziskus auch in den kurzen Momenten der Begegnung ganz bei seinem Gegenüber war. Ein längeres Gespräch führte ich einmal nach einer der morgendlichen Werktagsmessen mit ihm über die Präsenz der Kapuziner auf der arabischen Halbinsel. Ich hatte dort zu Ostern beim Beichten und bei Gottesdiensten ausgeholfen und er interessierte sich sehr für meine Erfahrungen. Die zweite längere Begegnung war nach dem Heiligen Jahr der Barmherzigkeit. Da stand er, nur begleitet von seinem Fahrer, völlig unerwartet in unseren Büros, um sich für die Arbeit zu bedanken. Vor Überraschung über den Besuch kam keiner auf die Idee einen Stuhl zu holen oder einen Kaffee anzubieten. Nichtsdestotrotz unterhielt er sich eine halbe Stunde mit unserem etwa 15-köpfigen Team.
Sicher hat er einige Dinge auch nicht so gemacht, wie manche es sich wünschen. Ich hätte mir in einigen Bereichen deutlichere Entscheidungen gewünscht. Seine Spontaneität war nicht immer glücklich. Seine Treue zu Freunden so stark, dass er bei Bischofsernennungen Fehler machte und sich entschuldigen musste. Er war Jahrgang 1936, geprägt von der Kultur Lateinamerikas. Er war immer auch Mensch und stand für eine menschliche Kirche.
Franziskus war nicht nur ein Mann des persönlichen Hörens und der persönlichen Begegnung. Mit seinem Anliegen der Synodalität hat er die gesamte Kirche auf diesen Weg gebracht. Er hat Strukturreformen angestoßen, Frauen in Leitungsämter geholt, der LGBTQ+-Community Raum gegeben und die Frage nach der Lebensform der Priester diskutieren lassen. Als Oberhaupt von 1,4 Milliarden Katholiken war er sich bewusst, dass es viele unterschiedliche Meinungen und Traditionen gibt und daher ein Wechsel von einer Seite zur anderen nicht ohne Spaltung geht. Darum war es sein Anliegen, im aufeinander Hören Verständnis zu wecken. Auch das war für den Vatikan eine neue Haltung, war man dort doch gewohnt zu erklären und weniger zuzuhören.
Grazie Papa Francesco!

 

Vgl. https://www.kapuziner.org/ein-persoenlicher-nachruf-grazie-papa-francesco/

 

Grazie Papa Francesco!