60 und immer noch jung

Ein Blog von Walter Ludin: «Eine junge Schwester sagte mir vor kurzem, sie finde es schön, dass man im Ordensleben mit 60 noch jung ist.» Dies erzählte die Religionssoziologin Isabelle Jonveaux in einem Vortrag. Sie forscht europaweit über das Ordensleben.

Die zitierte Aussage ist für mich nicht neu. Schon vor Jahrzehnten meinte mein Mitbruder Fidelis Stöckli: «Früher wurden die Alten 60, jetzt die Jungen.» Ich konnte dies inzwischen schon zwei Mal updaten und das «Jungsein» auf die 70 und dann auf die 80 beziehen.

Ich erinnere mich an meine beiden Grossmütter. Als sie 80 waren, sassen sie die meiste Zeit still in einer Stubenecke, alt und müde. In den letzten Monaten erlebte ich etwas ganz anderes. Mein Mitbruder Josef Bründler, der im Juni 80 wird, war mit der harten Arbeit einer Klosteraufhebung beschäftigt. Er gab daneben den Medien charmant und kompetent unzählige Interviews.

Zurück zu Frau Jonveaux. Sie sagte weiter: Das Ordensleben «bietet einen andern Umgang mit dem Alter, z.B. mit der Möglichkeit, sehr lange in der Gemeinschaft zu bleiben und manchmal sogar in der Gemeinschaft gepflegt zu werden; oder noch eine Arbeitstätigkeit zu haben, so lange man es kann, obwohl so viele Leute in der Gesellschaft mit 55 in die Frühpension geschickt werden.»

Wir Schweizer Kapuziner hatten vor Jahrzehnten schon die gute Idee einer internen Pflegestation, integriert ins Kloster Schwyz. Wir sind hier 23 Brüder: die einen krank, die andern gesundheitlich angeschlagen, andere wiederum recht fit. Wir alle bilden eine Gemeinschaft – und werden dabei auch dank liebevoller Pflege durch Fachpersonal recht alt. So haben wir dieses Jahr gleich drei 90., zwei 80. und einen 85. Geburtstag.

Alle nehmen gemäss ihren Fähigkeiten und ihrem Gesundheitszustand am Gemeinschaftsleben teil. Alle, auch die Dementen sind zum Stundengebet eingeladen– auch wenn der eine oder andere zwischendurch einen Psalmvers überspringt oder trotz Hilfe anderer die richtige Seite im Brevier nicht findet.

Ein ganz wesentlicher Vorteil einer solchen Möglichkeit von Ordensleben im Alter: Niemand sitzt allein unter Fremden in einem Heim. Alle kennen einander von früher. Mit sehr vielen war man schon einige Zeit im gleichen Kloster.

So hoffen wir, dass auch in Zukunft Junge, die anderswo schon Alte wären, hohe Geburtstage feiern dürfen.

Ps: Bruder Franz Sales Bucher, der auf dem Bild meditiert, hat Jahrgang 1930 und wird bald 94jährig.


Walter Ludin

Walter Ludin, Kapuziner in Luzern. Redaktor des franziskanischen Jahrbuchs „Franziskuskalender“. Von 1992 bis 2018 Redaktor der Eine-Welt-Zeitschrift ite. Freier Journalist. Kirchenblogger seit 2005.