Die Kapuziner und die Mission

Fortsetzung des Beitrags «Missverständnisse um ‹Mission›»

Noch in den 1960er-Jahren sprachen die Ordensgemeinschaften von ihren «Missionsgebieten», die ihnen von der Kirchenleitung anvertraut waren. Die «jungen Kirchen» des Südens waren personell wie finanziell von den Kirchen des Nordens abhängig. Inzwischen hat sich die Situation umfassend geändert. Es entstanden eigenständige Ortskirchen mit einheimischen Bischöfen und Priestern. Die Missionare sind nicht mehr die Chefs. Wenn sie bereit sind, in das zweite Glied zu treten und ihre Fähigkeiten für das Wohl der Ortskirchen einzubringen, sind sie nach wie vor willkommen.

Etwas anders sieht die Lage bezüglich der Finanzen aus. Die meisten der jungen Kirchen leben in Gebieten, die sehr arm sind. Viele Gläubige können nicht einmal das nötige Geld für ihren Lebensunterhalt aufbringen. Sie sind darum kaum im Stande, in genügendem Masse finanziell für die materiellen Bedürfnisse ihrer Kirche aufzukommen.

Dies alles gilt weitgehend auch für den Orden der Kapuziner. Die Brüder im Süden sind nicht mehr wie früher offiziell Mitglieder der Provinzen, aus denen die Missionare kamen. In den letzten 20 Jahren entstand in Afrika, Asien und Lateinamerika eine erfreulich grosse Anzahl eigenständiger Ordensprovinzen – die Frucht der «Einpflanzung des Ordens» in den früheren Missionsgebieten. An nicht wenigen Orten wächst die Zahl der Mitbrüder in einem fast Schwindel erregenden Tempo. In Indien beispielsweise wuchs die Kapuzinergemeinschaft in wenigen Jahren auf über 1000.

Der Orden legt sehr grossen Wert auf eine seriöse spirituelle und fachliche Ausbildung der jungen Brüder. Es versteht sich von selbst, dass die Provinzen in den armen Ländern bald an die Grenzen ihrer finanziellen Kapazitäten stossen. Die Solidarität zwischen Nord und Süd spielt darum im weltweiten Orden eine sehr grosse Rolle. Dank «Sponsoring» der Mitbrüder aus den wohlhabenden Ländern können die Kapuziner im Süden nicht nur für ihre eigenen Mitglieder Sorge tragen. Sie leisten auch nicht zu unterschätzende Beiträge zu Entwicklung der benachteiligten Völker. Keine Einbahnstrasse.

Der Verkehr zwischen Nord und Süd findet schon lange nicht mehr auf einer Einbahnstrasse statt. Wie die nördlichen Ortskirchen lassen sich auch die Provinzen des Nordens geistig von ihren Mitbrüdern in den ehemaligen Missionsgebieten beschenken. Sie sind bereit, sich für ihre spirituell oft sehr reichen Erfahrungen zu öffnen. Dazu gehören etwa – skizzenhaft dargestellt – die Bedeutung der Kultur für das kirchliche Leben («Inkulturation»; ein Schwerpunkt vor allem in Afrika), die Wertschätzung der Meditation (Asien) und die Sorge für das ganzheitliche Heil und die Befreiung von Menschen und Gesellschaften (Lateinamerika).

Der Austausch geschieht in Form von Publikationen wie Missionszeitschriften und –Kalendern. Es gibt auch immer mehr Beispiele von personeller Solidarität. Während früher die europäischen und nordamerikanischen Kirchen Missionare in die damals als «unterentwickelt» bezeichneten Länder geschickt haben, kommen vor allem seit Anfang des 21. Jahrhunderts Brüder aus dem Süden in den Norden. Wenn sie nicht bloss dazu eingesetzt werden, «Löcher zu stopfen» (Priestermangel!), können sie Wichtiges und Zukunftsweisendes zur interkulturellen Bereicherung beitragen.

So wird etwas vom Ideal verwirklicht, das der bekannte Missionstheologe Walbert Bühlmann formuliert hat: »Franziskanische Mission stärkt das Bewusstsein der universellen Geschwisterlichkeit der einen Menschheit Gottes. Darum wird «Mission» völlig zu Unrecht als Unwort gehandelt. Denn der Auftrag Jesu «Gehet hin zu allen Völkern und tauft sie» stellt keinen Freipass dar für Unterdrückung und Verachtung der «Andern».

Ganz im Gegenteil: Das damit Gemeinte bedeutet einen unverzichtbaren Dienst für das Leben auf dem blauen Planeten. Heute wie früher leisten die Kapuziner dazu einen kleinen, aber wirkungsvollen Beitrag.

Damit sind sie nicht bloss Schenkende. Als Mitglieder eines Weltordens, der in über 100 Ländern vertreten ist, werden sie auch selber beschenkt. Ihr Interesse wird ausgeweitet auf die ganze Welt. Wenn er auf Reisen ist, fühlt sich jeder Bruder in einem andern Kloster seines Ordens zu Hause, der Luzerner in Salzburg, aber auch der Deutsche in Afrika, Asien oder Lateinamerika. Überall findet er den ihm vertrauten «Stallgeruch». Denn nicht die kulturellen Unterschiede zählen, sondern das gemeinsame Brudersein und die gleichen Wurzeln der franziskanischen Spiritualität, die den Kapuzinern Tiefe und Weite geben.

Aus: Walter Ludin u.a.: Die Kapuziner – ein franziskanischer Lebensentwurf. Gratis zu beziehen in jedem Kapuzinerkloster.