Expeditionen in deutschsprachige Lande

Erste franziskanische Brüder in Deutschland und in der Schweiz

Recht abenteuerlich waren die Reisen, welche die ersten Brüder des Franz von Assisi nach Deutschland und in die Schweiz unternahmen. Die Neuankömmlinge wurden als Irrlehrer oder Heuchler angeschaut.

Es war Anfang Mai 1217 – in den Tagen, da Assisi sein farbenfreudiges Frühlingsfest feiert. Wie jedes Jahr kamen Franziskus und seine Gefährten vor Pfingsten aus allen Gegenden Italiens ins Spoleto-Tal zurück. Zunächst zählte Assisi nur ein paar Dutzend, bald schon Hunderte und nun über Tausend Brüder, die sich bei der Portiuncula-Kapelle unten in der Ebene versammelten. Sie berichteten einander die Erfahrungen ihres Wanderlebens, freuten sich an ihrer wachsenden Gemeinschaft und besprachen Fragen ihrer Bewegung.

Neue Horizonte

Die Pfingstversammlung von 1217 eröffnete neue Horizonte. Sie beschloss, Brüder zu anderen Völkern zu senden und in ihren Kulturen Fuss zu fassen. In der Folge brach eine grössere Gruppe nach Spanien auf, eine andere nach Frankreich, eine weitere nach Ungarn und eine vierte ins Heilige Land. Missionare setzten gleichzeitig nach Marokko über.

Für die deutschsprachigen Gebiete meldeten sich 60 Brüder. Viel Eifer und wenig Vorbereitung provozierten allerdings ein klägliches Scheitern der deutschen Expedition. Ohne Sprachkenntnis, mit leeren Händen und reichlich naiv wurden die Brüder für italienische Irrlehrer gehalten. Der Chronist Jordan von Giano berichtet wie «sie auf die Frage, ob sie etwa Häretiker seien und Deutschland ebenso verseuchen wollten wie sie die Lombardei verführt hätten, auch mit ‹Ja› antworteten». Darauf hätten die Deutschen «einige geschlagen, einige eingekerkert, andere entkleidet und nackt vor die Schultheissen geführt…» So kehrten die Brüder erfolglos nach Italien zurück.

Zweiter Versuch

Vier Jahre später regt Franziskus, aus Palästina zurückgekehrt, einen zweiten Versuch an, im deutschen Sprachraum Fuss zu fassen. Selber arg geschwächt und krank, sitzt er in der grossen Pfingstversammlung von 1221 zu Füssen des Bruders Elias, der für ihn spricht. Um der begreiflichen Angst vor den «Barbaren» entgegenzuwirken, erinnert der Poverello an die friedlichen Pilger aus dem Norden. Selbst in der grössten Siesta-Hitze seien diese (wie deutsche Touristen noch heute) im Schweisse ihres Angesicht unterwegs:

«Brüder, es gibt eine Weltgegend deutscher Sprache, wo fromme Christenmenschen leben. Wie ihr wisst, durchqueren sie unser Land mit langen Wanderstäben und dicken Kerzen in Schweiss und Sonnenglut, singen dabei Gott und den Heiligen Loblieder und suchen hoffnungsvoll die heiligen Orte auf. Weil aber die zu ihnen gesandten Brüder zurückgekehrt sind, nachdem man sie misshandelt hat, sei keiner gezwungen, zu ihnen zu gehen. Wer aber, vom Eifer für Gott und die Seelen begeistert, gehen will, der soll noch reicher gesegnet sein als jene, die übers Meer zu den Sarazenen gereist sind».

Der Aufruf hat ungeahnten Erfolg, wenn uns auch die Motivation der Freiwilligen nicht ehren kann: «Da erhoben sich etwa neunzig Brüder, voll inneren Feuers, todesmutig und bereit, selbst das Martyrium zu erleiden».

Die Expedition wird vorbereitet

Die zweite Expedition wird besser vorbereitet. Franziskus vertraut sie einem Weggefährten an, der im Rheinland geboren und in Palästina Franziskaner geworden ist: Cäsar von Speyer, ein hochgelehrter Prediger. Der Freund des Poverello wählt 27 Brüder aus, unter ihnen vier deutsche, und sendet sie in die Lombardei voraus. Mitte September sammeln sie sich und wandern in kleinen Gruppen nach Trient. Dort bewegt ihr Leben und Cäsars Predigt einen reichen Bürger so sehr, dass er die Brüder mit einer doppelten Kutte für die kälteren Gegenden ausrüstet, all seinen Besitz verkauft und sich der Expedition anschliesst.

Um die Alpen vor möglichen Schneefällen zu überqueren, lässt Cäsar seine Schar sogleich in Zweier- und Dreiergruppen weiterziehen. Sie erreichen über Bozen und Brixen ausgehungert den waldigen Brennerpass und finden wie vereinbart zum Gallusfest (16. Oktober) nach Augsburg.

Noch kein Kloster gesehen

Von dort teilt Bruder Cäsar den Kreis, auf 31 angewachsen, den wichtigsten Bischofsstädten zu: Brüder machen sich zu dritt oder viert nach Köln, Mainz, Worms, Speyer und Strassburg, nach Salzburg, Regensburg und Würzburg auf. Die neuartigen Ordensleute erwerben sich bald die Sympathie der Leute. Noch leben sie am Rand der Städte bei den Aussätzigen, verrichten einfachste Dienste und erbetteln sich dafür das Brot. Die Mehrheit von ihnen sind Laien. So feiern die kleinen Gemeinschaften den Gottesdienst noch in den Pfarreien mit. Wenn die Brüder von Speyer und Worms 1222 vor einem Fest beichten wollen, haben sie dafür nur einen Novizen, der als Priester zwischen den Städten pendelt.

Wie in Italien versammeln sich die Brüder aller Gemeinschaften zweimal im Jahr, um dem Wachsen und der schnellen Ausbreitung der jungen Provinz Gestalt zu geben. Im Herbst 1223 können bereits vier Teilgebiete unterschieden werden: Franken, Bayern-Schwaben, Rheinland-Elsass und Sachsen. Im Herbst 1224 fasst die Bewegung in Thüringen Fuss, wo sie mit der Landgräfin Elisabeth bald eine gute Freundin und eine grosse Schwester erhält. Ein Jahrzehnt später beginnt der Orden auch in Deutschland Klöster anzunehmen. Die Städte drängen nach Seelsorgern und spirituellen wie kulturellen Zentren. Ein Chronikeintrag zu Erfurt steht bezeichnend für diesen Wandel:

«Im Jahr 1225 übernahmen die Brüder auf den Rat des Herrn Heinrich, des Pfarrers von St. Bartholomäus und des Bischofsvikars Gunther von Erfurt die damals verlassene Kirche des Heiliggeist-Hospitals [östlich der Stadt]… Sie verblieben dort volle sechs Jahre. Der Vertreter der Bürgerschaft, der für die Brüder zu sorgen hatte, fragte nun den Bruder Jordan, ob er ein Haus nach Art eines Klosters gebaut haben möchte. Da dieser jedoch noch nie ein Kloster im Orden gesehen hatte, erwiderte er: `Ich weiss gar nicht, was ein Kloster ist. Baut uns das Haus nur nahe am Wasser, damit wir zum Füsse Waschen hineinsteigen können`. Und so geschah es.» Die Ruine der gotischen Franziskanerkirche von Erfurt beeindruckt noch heute mitten in der Altstadt.

Barfüsser in der Schweiz

Ähnliche Barfüsserkirchen entstehen kurz darauf in den schnell wachsenden Schweizer Städten. Deutschsprachige Brüder kommen aus der Rheinischen und der neuen Strassburger Provinz: 1231 nach Basel, 1240 nach Zürich, ab 1250 nach Luzern, Schaffhausen, Bern und Freiburg. 1280 nimmt auch Burgdorf Barfüsser auf. 1309 gründen die Habsburger nahe ihres Stammsitzes ein prächtiges Doppelkloster, das nach ihnen «Königsfelden» heisst.

Einzig das Kloster Freiburg hat unter diesen mittelalterlichen Gründungen überlebt. Die meisten Barfüsserkonvente sind der Reformation zum Opfer gefallen. Ihre prächtigen Kirchen in Windisch, Basel und Luzern erinnern allerdings an vitale Zentren, die unsere Städte über Jahrhunderte seelsorgerlich, kulturell und spirituell geprägt haben.

Nach dem Klostersturm der Reformation verbleibt der Deutschschweiz ein halbes Jahrhundert lang eine bescheidene franziskanische Restkultur: reformbedürftige Konvente der mittlerweile schwarz gekleideten Franziskaner in Freiburg, Solothurn und Luzern sowie eine Reihe sogenannter Terziarinnengruppen, die als Waldschwestern oder städtische Beginen ein freies Gemeinschaftsleben führen.

Neuartige Franziskaner: Kapuziner

Die Angst vor der vorrückenden Reformation veranlasst schliesslich Innerschweizer Politiker, neuartige franziskanische Brüder – die Kapuziner – über die Alpen zu rufen. Ihr radikales Leben und ihr volksnahes Wirken wird die Erfolgsgeschichte mittelalterlicher Franziskaner ungeahnt wiederholen und übertreffen. Ab 1581 kann alle ein bis zwei Jahre ein neues Kloster gegründet werden, bis ein dichtes Netz die ganze katholische Schweiz überzieht.

Wie im Fall der ersten Deutschland-Expeditionen 1217/21 müssen zunächst allerdings auch bei den Kapuzinern Ängste überwunden werden, bevor eine erste Gruppe mutiger Brüder die Alpen überquert: 1527 plündern, eben als der Reformzweig der Franziskaner in Mittelitalien entsteht, deutsche Landsknechte Rom und wüten wochenlang in der Stadt. Auch die Schweizer Söldner geniessen in Italien den zweifelhaften Ruf, auf dem Schlachtfeld keine Gefangenen zu machen.

Die ersten Brüder fassen im Tessin bereits 1535 Fuss. Sie erleben da allerdings die «landvogti» aus der Urschweiz aus der Sicht der ausgebeuteten Bevölkerung. Zur Angst vor den «Barbaren» kommen Bedenken hinzu, in den kalten Tälern nördlich der Alpen könnten barfüssige Wanderbrüder nicht bestehen.

Es gelingt führenden Politikern Uris und Nidwaldens, Carlo Borromeo für ihren Reform-Plan zu gewinnen. Der Erzbischof von Mailand erwirkt vom Papst, seinem Onkel, dass er die Kapuziner gegen ihren Willen zu einer ersten Gründung am Vierwaldtstättersee zwingt. Franz von Bormio, ein weitsichtiger Pionier und als Veltliner Kapuziner mit der Herausforderung der Reformation vertraut, führt im Sommer 1581 vier Brüder nach Altdorf. Ein reformierter Zürcher beschreibt Monate später dem Grossmünster den neuen Typ franziskanischer Brüder (nebenstehender Text «Mönche oder sonstwie seltsame Heuchler»).

«Mode-Orden» der Erneuerung

Armut nach dem Beispiel der Apostel, volksnahe Wanderpredigt bis in die hintersten Täler und der Mut, gegen Missstände in der katholischen Kirche offen anzugehen, machen die Kapuziner hierzulande bald zum «Mode-Orden» der Erneuerung. Nach Altdorf kann 1582 auch Stans, 1583 Luzern, 1585 Schwyz erste Kapuziner aufnehmen.

Bevor mit Zug auch der fünfte Hauptort der Innerschweiz einen Klosterbau beschliesst, wagen sich die besten Prediger in die exponierten katholischen Gebiete des Mittellandes. Der Erfolg der Brüder im inneren Appenzell ab 1587 wird zur Landesteilung führen. Die Tagsatzungsstadt Baden und Solothurn erhalten – beide von reformierten Nachbarstädten bedrängt – 1588 erste Brüder. 1589 entsteht die Schweizer Provinz. Sie wird kurz darauf ins Breisgau hinauswachsen und einen Kranz von Klöstern vom Elsass durchs Schwäbische und um den Bodensee bis ins Vorarlberg ziehen.

Unverzichtbar

Was die mittelalterlichen Barfüsserkonvente in den Schweizer Städten waren, werden die kleinen Kapuzinerklöster in den Landorten der Eidgenossenschaft: Brüdergemeinschaften, die besitzlos leben und lebensnah predigen; Begegnungsorte, an deren Türen sich Landammänner und Bettler begegnen; spirituelle und kulturelle Zentren, die über die Seelsorge hinaus auch Entwicklungsarbeit, Caritas und Bildung leisten; Zufluchtstätten für verschiedenste Nöte und gastfreundliche Oasen, wo Menschen aller Schichten Brüder finden. So wenig Franziskaner in einer mittelalterlichen Schweizer Stadt fehlen können, so unverzichtbar werden Kapuziner im Katholizismus des Barock und in der Volkskirche des 19./20. Jahrhunderts.

Neue Wege

Erst heute stellt die «postmoderne» Wende mit ihrer Absage an historisch gewachsene Institutionen, an gemeinsam-verbindliches Leben und an eine entschieden-christliche Weltsicht auch diese Lebensform in Frage.

«Neues Leben in alten Mauern» findet allerdings, in den offenen Klöstern von Altdorf und Rapperswil innovativ gewagt, erfreulich und zunehmend Nachfrage: Zeichen, dass die Gegenwart mit neuen Wegen wartet – und sich die mutige «Expedition» ins Neuland Zukunft lohnt?

Niklaus Kuster

 

«Mönche oder sonst wie seltsame Heuchler»

Zu Altdorf, im Hauptflecken von Uri, will man ein neues Kloster bauen. Sand und Steine liegen auf dem Platz, wo man bauen will. Es sind in Uri zwei Mönche oder sonstwie seltsame Heuchler, denen man heiligen Lebenswandel nachrühmt. Die Urner nennen sie «Caposchiner» …

St. Franziskus soll ihr Patron sein. Sie tragen einen bis auf die Füsse reichenden erdfarbenen Rock von rauem, schlichtem Tuch mit grossen weiten Ärmeln, der von einem Gurt oder Strick zusammengehalten wird, und eine grosse, spitze Kapuze über dem Haupt. Die streifen sie nach hinten ab, sodass sie ihnen auf dem Rücken liegt…

Sie sollen keine Hemden tragen, auch kein Tuch aus Leinen oder Zwilch brauchen. Sie haben keine Schuhe an, sondern irgend ein Zeug um die Füsse und Sohlen gebunden…

Es soll sich um den strengsten Orden handeln, den es in der Christenheit gebe. Sie hätten kein Eigentum, sie sollen auch nichts erbetteln oder heischen, von niemand etwas fordern, sondern zufrieden sein mit dem, was man ihnen aus gutem Willen gibt, Speise, Trank oder Geld. Essen und trinken dürfen sie nicht, soviel sie Lust haben, sondern nur, was für den Lebensunterhalt nötig ist. Was nach dem geziemenden Verbrauch an Almosen in Speise, Trank oder Geld übrigbleibt, dürfen sie nicht in Kästen verwahren oder behalten, sondern müssen es sofort an arme Leute um Gottes willen austeilen…

Der ältere habe soviel Kenntnis der deutschen Sprache erlangt, dass er am letzten Sonntag, der alten Fastnacht, dem Volke eine schöne Predigt gehalten habe. Es war seine erste Predigt. Und man spricht noch und noch von dieser herrlichen Predigt.

Heinrich Thomann (1520-92), Stadtrat in Zürich