Karl Valentin: Hinter-Sinn im Unsinn

Walter Ludin

Warnung: Falls Sie dem Münchner Komiker Karl Valentin begegnen, reden Sie ihn ja nicht als «Herrn Walentin an». Er könnte zornig werden und fauchen: «Sagen Sie Ihrem Herrn Vater auch Water?» Denn: Valentin wollte «Falentin» genannt werden.
Nun, ich liess mich im ersten Satz dieses Artikels von Valentins Unsinn anstecken. Denn selbstverständlich können Sie ihm nicht mehr persönlich begegnen, da er bereits 1948 starb. Obgleich: Im Münchner Museum, das ihm als «Valentin Musäum» gewidmet ist, steht neben einem Stuhl die Ankündigung: «Immer um Mitternacht sitzt Karl Valentin hier. Leider ist das Musäum um diese Zeit geschlossen.» Schade!

Sprachspiele
Werden wir nun ernsthafter und wenden wir uns Valentins – zum Teil unvergessenen! – Sprachspiel zu. Hinter scheinbar unsinnigen Sätzen steckt viel Tiefsinn. Einige Beispiele:

  • Eines seiner wohl bekanntesten Worte: «Mögen hätten wir schon gewollt, aber dürfen haben wir uns nicht getraut.» Im Internet finde ich dazu den gescheiten Kommentar eines Psychotherapeuten: «Dieses Zitat veranschaulicht meiner Meinung nach sehr gut die neurotische Problematik, mit der ich in meiner psychotherapeutischen Praxis tagtäglich konfrontiert werde. Es handelt von einer als menschliche Tragödie empfundenen, inneren Zerrissenheit, die aber zur menschlichen Natur dazugehört.» Als Schweizer möchte ich es mit Mani Matter einfacher ausdrücken: Die Menschen unterscheiden sich vom Affen, «weil sie Hemmige hey».
  • «Gar ned krank, is a ned g’sund.» Es gibt eine Sammlung valentinischer Texte, welche diesen Titel trägt (s. unten). Zum vieldeutigen Spruch möchte ich hier nur eine Erklärung anfügen. Ich denke, wir alle kennen sie: Gesunde Menschen mit einem scheinbar gesunden Selbstbewusstsein, das arrogant wird – und darum ungesund ist – vor allem für die Mitwelt.
  • «Fremd ist der Fremde nur in der Fremde.» Selbstverständlich möchte ich mich nicht auf die gleiche Ebene wie Falentin setzen. Trotzdem wage ich es, dazu einen eigenen Aphorismus anzufügen: «Wir sind überall Fremde, ausser auf einem lächerlich kleinen Stück Erde.» Bitte nicht missverstehen: Ich meine damit nicht, dass der Teil der Welt, den wir besiedeln, lächerlich sei; sondern, dass dieses Stück so klein ist, dass es lächerlich wirkt, wenn wir meinen, wir seien besser und bedeutsamer als der Rest der Welt.
  • «Hoffentlich wird’s nicht so schlimm, wie es schon ist.» Dazu brauche ich in einer Zeit der vielfältigen Krisen nichts hinzuzufügen. Ausser vielleicht eine andere valentinische Einsicht: «Die Zukunft war früher auch besser.»

Witzige Situationen
Nicht unerwähnt seien hier zwei Szenen aus dem Leben Valentins. Dass er auch privat witzig sein konnte – was längst nicht bei allen Komikern der Fall ist! –, zeigte er beim Besuch eines Freundes, der mit Alteisen handelte. Valentin montierte vor dem Eintreten in dessen Haus kurzerhand das eiserne Gartentor – und bot es ihm zum Verkauf an. Wie die Verkaufsverhandlungen vor sich gingen, entgeht leider meiner Kenntnis …

Valentin war verheiratet mit einer ehemaligen Hausangestellten seiner Eltern und hatte ein Kind von ihr. (Er bezeichnete sich als «Vater von seinem eigenen Kind».) Seine Zuneigung galt aber ebenso seiner Bühnenpartnerin Lisl Karlstadt, die als Schauspielerin und Komödiantin ebenso genial war wie er. «Seine» beiden Frauen vertrugen sich gewöhnlich erstaunlich gut. Doch eines Tages gerieten sie sich in aller Öffentlichkeit in die Haare. Valentin, der dabeistand, wurde es immer peinlicher. Schliesslich wollte er die Situation retten und erklärte den Passanten, es handle sich um Proben für eine Filmaufnahme.

«Tragischer Komiker»
Der «Urmünchner» Karl Valentin, dessen Eltern aus dem hessischen Darmstadt beziehungsweise aus dem sächsischen Zittau stammten, galt als «Deutschlands grösster tragischer Komiker». Oder wie es in Verlagsmitteilungen heutiger Textsammlungen heisst, war er der «geniale Sprachkünstler und begnadigte Humorist», einer der bedeutendsten Autoren «des Grotesken und Absurden». Bisweilen bezeichnete er sich selber, wie es damals Journalisten taten, als «Blödsinnskönig».

Wie ich nachzuweisen hoffe, war er dabei keineswegs ein primitiver Blödler. Dies zeigte sich auch darin, dass führende Kulturschaffende wie Max Reinhard und Bert Brecht ihn zu seinen Freunden zählten. Sie und viele andere entdeckten in seinem vordergründigen Unsinn einen tiefen Hinter-Sinn.

Neuere thematische Textsammlungen aus den Werken von Karl Valentin, alle aus dem Piper Verlag:

  • Immer die Erotik von den Weibern. Liebesklamauk und andere Herzensangelegenheiten
  • Mein komisches Wörterbuch. Sprüche für alle Lebenslagen
  • Gar ned krank is a ned g’sund. Ein Erste-Hilfe-Lesebuch