Macht bestimmt

Soll ich erklären, dass in der heutigen Welt gilt: „Die Macht bestimmt, was richtig ist?“ Was hat die Welt davon, wenn sie ein Bündnis nach dem anderen, einen Verbündeten nach dem anderen eingeht? Es ist nur Angst. Angst davor, vom anderen angegriffen und niedergemacht zu werden. Im Namen dieser Angst beginnt die Logik, sich gegen andere zu verteidigen. Dann werden Raketen und Gefechtsköpfe, Soldaten und Panzer in verschiedenen Teilen der Welt an verschiedenen Grenzen stationiert. Alle Parteien haben Recht, wenn sie ihre Angst vor einem Angriff des anderen begründen.

Es scheint, als wolle jede Region der Welt einen „Beschützer“. Aber nicht auf der Grundlage irgendwelcher Ideen oder Ideale. Sondern durch militärische Macht. Gibt es einen Platz für Gewaltlosigkeit? Ich bin vielleicht der Idiot, der diese Frage in dieser Welt stellt, in der die Menschen glauben, dass man Frieden durch Waffen schaffen kann. Wir leben in einer Zeit, in der es „Friedenstruppen“, „Friedensmissionen“ usw. gibt. Wenn wir die jüngste Geschichte betrachten, sind wir gezwungen zu glauben, dass die Demokratie durch die gewaltsame Entmachtung der Regierungen in verschiedenen Ländern hergestellt werden kann.

Kevin Spaceys „Call of Duty: Advanced Warfare“– Charakter sagt: „Ihr glaubt, dass ihr einfach in diese Länder einmarschieren könnt, die auf irgendwelchen fundamentalistischen religiösen Prinzipien beruhen, ein paar Bomben abwerfen, einen Diktator stürzen und eine Demokratie gründen? Hah. Gimme a break“.

Ich komme auf meine Frage zurück. Hat Gewalt irgendeine Bedeutung? Selbst in Indien, wo der Apostel der Gewaltlosigkeit, Gandhi, lebte, und einen Freiheitskampf führte, glauben viele und kritisieren ihn, indem sie sagen, wenn wir nicht den Weg der Gewaltlosigkeit gegen die Briten beschritten hätten, hätten wir schon vor zwanzig Jahren die Freiheit erlangt.

„Gewaltlosigkeit“, sagte Gandhi, „kann einem Menschen nicht beigebracht werden, der den Tod fürchtet und keine Kraft zum Widerstand hat.“ Es ist leicht, an Gewalt zu glauben. Es ist leicht zu sagen, dass man Krieg gegen die Ukraine führen soll. Es ist leicht zu sagen, wir sollen gegen Russland in den Krieg ziehen und die Ukraine unterstützen. Aber dieser Glaube an militärische Macht, der die Mächtigen über das Recht bestimmen lässt, ist die eigentliche Ursache all dieser Katastrophen. Sie macht sie nur noch komplizierter und hilft den Bösen nicht, ihr Verhalten zu ändern. Sie bringt sie bloss in Bedrängnis, löst Hass aus und weckt den Wunsch nach Rache und Vergeltung. Gewalt kann die Bösen vielleicht kalt stellen, aber nicht retten.

Vergessen wir nicht die Millionen Kinder, die in Serbien, Kroatien, im Kosovo, in Bosnien, Afghanistan, Syrien, Somalia, Irak, Libyen usw. leben. Jetzt dazu die von Ukraine auch. Werden sie einmal, wenn sie erwachsen sind, die Täter vergessen, die ihr Land und ihre Verwandten ruiniert haben?

Die NATO kann den Weltfrieden nicht garantieren. Auch die OVKS nicht. Und keine anderen Militärbündnisse.

Leben als Christ, sich als Christin und Christ identifizieren, auf das Christsein stolz sein, und seit Jahrhunderten eine christliche Kultur leben. Aber dennoch steht der Glaube unter Waffen und Munition. Die Perspektive Jesu wird durch jeden von uns, vor allem durch die so genannten “ Weltpolitiker“, als gescheitert bewiesen.

Lasst mich als Idiot beten wie der heilige Franziskus:

«Herr, mach mich zu einem Werkzeug deines Friedens,

dass ich liebe, wo man hasst;
dass ich verzeihe, wo man beleidigt;
dass ich verbinde, wo Streit herrscht;

… denn wer verzeiht, dem wird verziehen … »

Amen.


George Francis Xavier

George Francis Xavier, aufgewachsen in Indien, ist Kapuziner. Seit 2010 wohnt er im Kapuzinerkloster Luzern und absolvierte an der UNI Luzern als Zweitstudium Kulturwissenschaft, mit Schwerpunkt Ethnologie.

brennende Kerzen in einer Kirche © GFX, 2019
brennende Kerzen in einer Kirche © GFX, 2019