„moderne“ Weihnachtskrippe?

Vor kurzem wurde ich von einem Bruder gebeten, die Krippenfiguren neu einzukleiden: «Du «schnurpfst» (nähst) doch so gerne? », sagte er beim zNüni. «Du könntest doch unsere Krippenfiguren neu einkleiden. Sie sollen aussehen wie die Flüchtlinge heute aussehen. Schliesslich waren Josef und Maria auch auf der Flucht.»

Wie sehen Flüchtlinge heute aus? Ich Google, schaue mir Bilder an von Menschen auf der Flucht. Jene, die übers Wasser kommen, tragen in der Regel Schwimmwesten. Weil sie doch erst fotografiert werden, wenn man sie im grossen Mittelmeer entdeckt hat und von da an auch beschützt und hilft. Ob sie die Schwimmwesten schon vorher hatten, kann ich nur hoffen.

Und dann sind da noch die Flüchtlinge, die über Land kommen; staubig, müde und in den Gesichtern Angst, Trauer und Hoffnungslosigkeit. Einige tragen Taschen mit wenigen Habseligkeiten. Andere tragen ihre kleinen Kinder. Aber sie tragen in der Regel auch Kleider wie wir sie haben und mit den Markenzeichen, die auch wir kennen: Jeans, Pullover, Hemden, Mützen, Sneakers oder anderes Schuhwerk. Nur wenige haben Sandalen an.

Der Auftrag, Josef und Maria, das Jesus-Kind, den Hirten und seinen Jungen einzukleiden, ehrt mich sehr. Aber er stellt auch eine grosse Herausforderung dar. Die Krippenfiguren sind gross, Josef ist fast 70 cm gross und in einen doch eher schlechten allgemeinen Zustand.

Ich beginne mit Jesus. Er ist klein, knapp 30 cm, und bekommt neue Hosen aus weichem Jersey-Stoff und ein Shirt mit klitzekleinen Sternchen drauf, eine Mütze und einen Schal. Auf der Suche nach Baby-Finkli werde ich fündig bei den Puppenkleidern. Farblich passt es zwar nicht ganz. Aber da darf man nicht heikel sein, schliesslich ist auch er auf der Flucht.

Das Sternchen-Shirt wird abgelehnt.  Und fast entbrannt darüber ein Streit. Wäre ich eine Mutter auf der Flucht, würde ich doch alles tun um mein Kind einigermassen sauber zu halten? Der Kapuziner meint, dafür würde ich gar keine Möglichkeit haben. Jesus bekommt also noch einen warmen Pullover und darf sein Shirt darunter behalten.

Hirtenbub neu eingekleidet © Winnie, 2019

Der Hirte-Junge erhält einen Kapuzenpullover aus einer alten Strickjacke von mir, neue Jeans aus alten und Converse-Turnschuhe. «Oh, viel zu schön», meint der Kapuziner, «ich werde mit ihm durch den Garten spazieren, damit er authentisch wird». (Sprich: damit seine Kleider staubig und seine Schuhe dreckig werden). Ich habe keine Bilder gesehen von Flüchtlingen mit zerrissenen oder auffallend dreckigen Kleider, gebe ich zu bedenken. Kaputt sind nur die Hosen vieler Jugendlichen von heute hier bei uns, warum auch immer und vor allem bei dieser Kälte.

Maria in dieser Krippe © Winnie, 2019

Maria wird eingekleidet mit einem langen Rock, einer Bluse, einer viel zu grossen Strickjacke und einem schwarzen Kopftuch. So habe ich viele Bilder von Flüchtlingsfrauen gesehen. Sie ist genau richtig, wenn auch ihre Schuhe (noch) zu sauber sind. Ich widerstehe den Wunsch, ihre Haare zu kämmen und zu frisieren.

Josef ist die grosse Herausforderung. Hin und wieder reisse ich aus Versehen seinen Arm ab. Oder ich muss seinen Kopf, der nicht mehr fest auf seinen

Josef auf Herbergssuche © Winnie, 2019

Schultern sitzt, wieder richten. Er schaut nicht wirklich fröhlich, wenn auch nicht wirklich unfreundlich. Inzwischen hat er aus einem alten Hemd eines Kapuziners ein neues bekommen und ich glaube, er freut sich darüber. Es sieht gut aus. Aus einem etwas verfilzten Pullover eines anderen Kapuziners, bekommt er noch einen Pullunder. Für seine Füsse gibt es keine Schuhe. Unsere Reinigungsfrau im Kloster hat ihm Socken gestrickt.

 

Zuhause, in meinem Nähzimmer (an der Türe hängt ein Schild «Lieblingsort») steht Josef mir hin und wieder im Weg. Im Moment ist es aber auch etwas unordentlich. Schliesslich ist bald Weihnachten. Es stehen und liegen dort auch Geschenke und die Schachtel mit den gebastelten Weihnachtskarten, die fertiggestellt werden müssen. Die Diskrepanz könnte also nicht grösser sein. Auf der einen Seite Menschen auf der Flucht, auf der anderen Seite unser Wohlstand.

Einen grossen Korb mit Stoffresten schiebe ich von links nach rechts. Aber das Jesus-Kind liegt weich darin gebettet und sieht friedlich aus. Maria und der Hirte-Junge sind bereits zurück im Kapuzinerkloster. Der Hirte wartet noch geduldig, bis er auch ein neues Gewand bekommt. Ich frage Josef, ob er wohl glaubt, dass die Menschen verstehen, was der Kapuzinerbruder ausdrücken will mit dieser «modernen» Weihnachtskrippe. Er antwortet mir nicht und lässt mir damit viel Raum für eigene Gedanken. Spontan kommt mir das Wort «Menschlichkeit» in den Sinn.


Winnie Gasser-Wernas

Winnie Gasser-Wernas, arbeitet als Sachbearbeiterin im Kapuzinerkloster Wesemlin. Daneben interessiert sie sich für soziale Themen und ist politisch aktiv. Die Lebenseinstellung des heiligen Franziskus passt sehr gut zu ihrer Sicht auf den Umgang mit den Mitmenschen.