Sinn/Sinne

Die Worte «Sinn/Sinne» haben einen vielfachen – Sinn. Und die Sinne von Tieren sind oft sehr viel stärker entwickelt als jene von uns Menschen.

Beat Baumgartner

«Sinn/Sinne» gehört innerhalb der Häufigkeitsklassen des Dudens zu den häufigen bis sehr häufigen Wörtern. Es handelt sich um einen Allerweltsbegriff und kommt auch in sehr vielen Wortverbindungen vor: etwa sinnlos, sinnhaft, sinnlich, Blödsinn, Irrsinn, Uhrzeigersinn, Wahnsinn usw.

Wer in der Suchmaschine Google «Sinn» eintippt, erhält in 0,38 sec. (!) 241 Mio. Ergebnisse – «Gott» bringt es in 0,5 sec. «nur» auf 229 Mio. Treffer, «Teufel» in 0,52 sec. sogar bloss auf 38 Mio.

*

Aber lassen wir diese Zahlenklauberei, zu der uns das Internetzeitalter ja im Übermass verleitet. Schauen wir uns vielmehr die Bedeutungen des Wortes etwas genauer an. «Sinn», im Plural «Sinne», hat nämlich eine Vielzahl davon. In der Biologie und Anthropologie bedeuten «Sinne» eine bestimmte physiologische Fähigkeit zur Wahrnehmung von etwas (wir kommen noch darauf zurück).

*

Eindrücklich ist für mich die Herkunft, das heisst die Etymologie des Wortes. Es stammt aus dem mittel- und althochdeutschen «sin» und gehört vermutlich zur Gruppe von indogermanisch «sent-», was so viel heisst wie «gehen, reisen, fahren».

Dazu gehören wiederum das althochdeutsche «sinnan» – «reisen, streben, trachten» und das lateinische «sentire» – «empfinden, wahrnehmen». Sinn hat also nicht nur mit Bedeutung, Zweck, Gefühl, Wahrnehmung und Vorstellung zu tun, sondern auch mit dem «Unterwegssein hin zu einem Ziel». Das Wort hat eine eminent dynamische Seite.

Dem Leben einen Sinn geben bedeutet für viele Menschen darum nicht einfach, ein Ziel erreicht zu haben, die Wahrheit endgültig zu besitzen; sondern auf dem Weg hin zu einem Ziel, zur Wahrheit, zur Gotteserkenntnis sein.

*

Ebenso spannend: Das Wort «Sinn» hat sich auf der ganzen Welt verbreitet. Es kommt in ähnlicher Form in sehr vielen Weltsprachen in ähnlicher Lautmalerei vor: «Sans» im Dänischen, «Sense» im Englischen, im Französischen respektive Italienischen «sens» und «senso», die Holländer sagen «zin», die Norwegerinnen «sans», die Schwedinnen «sinne» und sogar die Japaner verwenden センス (ausgesprochen: «sensu») in der Bedeutung von «Gefühl oder Gespür für etwas».

*

Wenn wir im allgemeinen Sprachgebrauch in der Mehrzahl von den «Sinnen» sprechen, dann geht es gemeinhin um unsere physiologische Wahrnehmung der Umwelt mittels unserer Sinnesorgane. Bereits die alten Griechen, Demokrit und Aristoteles, beschrieben die fünf klassischen Sinne: das Hören mit den Ohren, das Riechen mit der Nase, das Schmecken mit der Zunge, das Sehen mit den Augen und das Tasten mit der Haut, den Händen, den Füssen.

Hinzu kommen in der modernen Sinnesphysiologie noch vier weitere klassische Sinne, nämlich der Gleichgewichtssinn (Vestibulärer Sinn), der Temperatursinn (Thermorezeption), die Schmerzempfindung (Nozirezeption) sowie die Empfindung des eigenen Körpers, die Tiefensensibilität (Lage und Bewegung unseres Körpers, die Sinne unserer inneren Organe).

*

Und dann gibt es ja noch den bekannten «sechsten und siebten Sinn»: sich auf eine Intuition beziehend, nicht auf die Wahrnehmung mit den «normalen» Sinnesorganen. Beim sechsten Sinn geht es um eine nicht erklärbare Wahrnehmung im Jetzt, beim siebten Sinn um eine Vorahnung. Gemeint ist damit das Bauchgefühl, das uns vor Menschen und Situationen zu warnen scheint.

*

Und dann – wie tröstlich – haben verschiedene Tierarten sogar noch andere, weitere Sinne als wir, die wir uns oft als die «Krone der Schöpfung» sehen:
– Vögel können mit Hilfe des Magnetsinns das Erdmagnetfeld wahrnehmen.
– Zitteraale erkennen im Dunkeln ihre Gegner durch die Wahrnehmung der Änderung elektrischer Felder. Zitterrochen nehmen die Körperelektrizität ihrer Beute wahr.
-Verschiedene Schlangenarten haben ein Grubenorgan zur Wahrnehmung von Infrarotstrahlung.
– Und Fledermäuse erkennen im Dunkeln Hindernisse oder ihre Beute mittels Echoortung.

*

Sinn, Sinne sind also Wörter mit vielfältiger Bedeutung, kein Wunder also, dass auch zahlreiche Sprichwörter und Redewendungen sie benützen, zum Schluss nur ein paar davon: «Aus den Augen, aus dem Sinn», «langer Rede kurzer Sinn» oder «Der Verstand ist wie eine Fahrkarte: Sie hat nur dann einen Sinn, wenn sie benutzt wird. (Ernst R. Hauschka)» oder «In dem Augenblick, in dem ein Mensch den Sinn und den Wert des Lebens bezweifelt, ist er krank (Sigmund Freud).