Wie werden die Pfarreien «missionarischer»? (Teil II)

Vorbemerkung: Der vom Konzil lancierte Begriff «missionarische Gemeinde» wurde oft zu einem Schlagwort ohne Konsequenzen. Diese bereits 1981 formulierte These entspricht wohl heute noch der Realität. Sie wurde vom damaligen Steyler Missionar Richard Meier formuliert. Aus seinem Artikel:

Wie kann die kirchliche Gemeinde wieder lebendige und missionarische Gemeinde werden?

Missionarische Urkirche

Für die frühesten Christen war es eine Selbstverständlichkeit, dass der Missionsauftrag der ganzen Kirche und jedem Christen gegeben ist. Der Glaube, dass der gekreuzigte und auferweckte Jesus der wahre Hirt der ganzen Welt ist und dass seine Herrschaft auf weltweite Versöhnung zielt, führte sie notwendigerweise dazu, die eigenen judenchristlichen Grenzen zu überschreiten und in die Völkerwelt hineinzugehen. Und umgekehrt erfuhren sie gerade in der Sendung in die Welt und im Herzukommen der „Heiden“ die erste Manifestation seiner universalen Herrschaft.

Die Kirche rückt ins Zentrum

Im Laufe der Zeit trat im Selbstverständnis der christlichen Gemeinden jedoch eine Akzentverschiebung ein: Sie verstanden ihren Dienst nicht mehr primär von der missionarischen Sendung her, sondern von ihrer eigenen Existenz als Kirche inmitten der Welt. Die Gründe dafür liegen in der Bedrohung der Gemeinde von aussen und von innen: durch Verfolgung und Irrlehren. Sie liess die innergemeindlichen Probleme in den Vordergrund treten. Aber auch die weitgehende Übereinstimmung von Kirche und Welt in der konstantinischen Ära und später die Isolation der Kirche von der Welt als Reaktion auf Aufklärung und Säkularisation trugen dazu bei, dass die Kirche sich vorwiegend auf sich selber konzentrierte.

Mission gerät an den Rand

Diese Entwicklung schlug sich im traditionellen Missionsverständnis nieder: dem Verständnis des «Apostolats» und den Missionsmotiven der «Seelenrettung» und der «Kircheneinpflanzung» war gemeinsam, dass die Kirche im Zentrum des Denkens stand. Sie verstanden die Kirche als endgültige Heilsinstitution, als den eigentlichen Ort des Heilshandelns Gottes, der von der Welt wesenhaft verschieden ist. Folglich trat der Aspekt der Selbstausbreitung der Kirche in den Vordergrund: Wenn alles zum Heil Notwendige in der Kirche und als Kirche geschieht, dann ist das Ziel der Mission die Eingliederung der Menschen und Völker in die Kirche. Ausbreitung aber ist ein Geschehen, das sich faktisch an den Rändern der bestehenden Kirche vollzieht. Zumal für ein Abendland, das sich als integral christlich verstand, konnte sich die Mission nur in fernen, überseeischen Ländern abspielen, und zwar als Sonderauftrag, als Aufgabe für Spezialisten.

Damit geriet jedoch die Mission auch im Selbstverständnis der Kirche an den Rand. Es wurde nicht mehr genügend wahrgenommen, dass die Kirche nur um ihrer Sendung willen existiert und dass die Kirche darum ihre eigene Existenz nur von ihrer Sendung in die Welt her wirklich begreifen kann.

Das Anliegen des Konzils bleibt akut

Die Erneuerung, die das zweite Vatikanische Konzil anstrebte, zielte darauf, die grundlegende missionarische Dimension der Kirche wiederzugewinnen und den Auftrag zum missionarischen Dienst an der Welt von heute wahrzunehmen. Die Aussage des Konzils, die Kirche sei in ihrem Wesen missionarisch, ist inzwischen zum Schlagwort geworden.

Aber sind die kirchlichen Gemeinden dadurch wirklich lebendiger und missionarischer geworden? Jedenfalls: Je mehr einerseits die «missionarische Gemeinde» beschworen wird, desto mehr scheinen anderseits zumindest die Kirchen in den traditionell christlichen Ländern eher auf die eigene Stabilisierung bedacht zu sein, als auf einen neuen missionarischen Aufbruch in neue Horizonte. Zudem nehmen Priester-, und Missionsberufe rapide ob, und die Berechtigung der «Missionen» wird in Frage gestellt.

Die erhoffte Erneuerung wurde offenbar durch verschiedene Missverständnisse des Schlagwortes von der «missionarischen Gemeinde» blockiert.

Missverständnisse des Wortes «Mission»

  • Das Wort «Mission» wurde nach wie vor häufig geographisch verstanden und blieb auf die Beziehung zur «Dritten Welt» fixiert. Folglich wurde der «missionarische Charakter» der Gemeinde einseitig durch spezielle Veranstaltungen wie Missionspredigten, Geldsammlungen usw. abgegolten oder durch die Delegation an Missionsdelegierte, Missionsressorts, Dritte-Welt- oder Missionsgruppen.
  • Der missionarische Auftrag wurde zuweilen im Sinne kirchlicher Propaganda und Expansion verstanden: als Vermehrung der Mitgliederzahlen, Rückgewinnung verlorener kirchlicher Territorien oder als vermehrte Teilnahme der Christen an den Veranstaltungen der kirchlichen Gemeinde. Das Wort „missionarisch“ erzeugt darum oft kritische Abwehr.
  • Das Wort «missionarisch» wurde selten zum orientierenden Kriterium und Strukturprinzip der Gemeinde, sondern diente umgekehrt dazu, die vorfindliche Gestalt und die faktischen Tätigkeiten der Gemeinde als «missionarisch», als Dienst an der Welt und für die Welt zu bezeichnen. Es wurde zum neuen Etikett, ohne dass sich in der Sache etwas veränderte.

Man wird den Eindruck nicht los, dass diese Missverständnisse, die manchmal selbstgefällige, oft aber resignative Selbstbetrachtung der Kirche und der kirchlichen Gemeinden im Westen noch verstärkte, zum Herumdoktern an den Symptomen verführte und den Aufruf zum missionarischen Aufbruch wirkungslos bleiben liess.

Das Anliegen des Konzils bleibt nach wie vor akut. Und soll die missionarische Gemeinde“ nicht bloss ein Schlagwort kirchlicher Dokumente bleiben, muss sich offensichtlich das Selbstverständnis der Gemeinde und all ihrer Glieder ändern.

Richard Meier

Dieser Artikel entstand im Hinblick auf das Pastoralforum 1981. Dazu auch unser vorausgehender Beitrag.