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Ein stilles Wintermärchen

Der Klostergarten hat sich über Nacht in ein stilles Wintermärchen verwandelt. Der Schnee, leise und sanft gefallen, legte sich wie ein weisses Gewand über die Anlage und brachte die franziskanische Schlichtheit und Harmonie der Schöpfung zum Ausdruck.

Am Morgen schmückte noch der Lichterkranz die alte Linde, doch am Abend krönte sie eine schneebedeckte Haube. Die Bank darunter, frisch mit Schnee verputzt, lud zur Besinnung ein – selbst wenn die eisige Kälte den Aufenthalt kurz hielt. Die Bienenkästen, im Sommer voller emsigen Lebens, lagen unter ihrer weissen Decke in stiller Einkehr.

Die letzten Herbstfarben, von Schneekristallen überzogen, leuchteten in warmem Kontrast zur winterlichen Reinheit. Es schien, als wolle der Garten die Harmonie von Abschied und Neubeginn verkörpern – ein Zusammenspiel von Leben und Ruhe, das an die franziskanische Freude an der Schöpfung erinnerte. Der Übergang vom farbenfrohen Herbst zur klaren, schlichten Schönheit des Winters war wie eine Botschaft: In der Stille und Einfachheit liegt die Gegenwart Gottes.

Dieser erste Schnee brachte nicht nur winterliche Kälte, sondern auch eine leise Vorfreude auf Weihnachten. Er erinnerte an die schneebedeckten Wanderwege, auf denen Franziskus einst mit Bruder Leo unterwegs war. „Sieh, Bruder Leo“, hätte er wohl auch an diesem Tag gesagt, „wie der Schnee in seiner reinen Weisse die Vollkommenheit Gottes widerspiegelt.“

Für die Kapuziner und die Besucher des Klosters wurde dieser Wintereinbruch zu mehr als nur einem Wetterphänomen. Der Garten, tief verschneit und voller Frieden, eröffnete einen Moment des Staunens, der über das Sichtbare hinauswies. In der stillen Pracht lag eine Einladung, die Herzen weit zu öffnen – für die kommende Adventszeit und die Freude, die in der Einfachheit der Schöpfung zu finden ist.

So wurde der erste Schnee im Klostergarten Wesemlin zu einem lebendigen Zeichen franziskanischer Spiritualität: eine Feier der Schöpfung, ein Fest für die Seele.

bruder george, Kapuziner, Kloster Wesemlin, weiter

Ein stilles Wintermärchen