Grössere Kapuzen
Niklaus Kuster, aus ITE 2024/5: Im kommenden Frühling blicken die Kapuziner auf fünf Jahrhunderte zurück. Der Kapuziner Niklaus Kuster hat sich vertieft mit der Geschichte seines Ordens befasst. Sein Beitrag zeigt auf, was den jüngsten Reformzweig der Franziskaner entstehen liess und seine Geschichte prägte. Und dass die Zukunft des Ordens in Afrika und Asien liegt.
Kapuziner sind «Reformfranziskaner». Ab 1525 machten sich Brüder aus grossen Klöstern der Franziskaner in Mittelitalien davon, um wie Franziskus durch die Lande zu wandern und wie seine Gefährten Friedensarbeit zu leisten. Denn wie in den jungen Städten des Hochmittelalters klafften auch 300 Jahre später die verschiedenen Gesellschaftsschichten auseinander, gerieten Menschen an den sozialen Rand und erhoben sich städtische Bürger über den Bauernstand. Nach wie vor eskalierten Konflikte zwischen Clans und Parteien, befehdeten sich Städte und Herrschaften, sprachen Prediger über die Köpfe der Leute hinweg und erreichten Menschen auf dem Land nicht mehr.
Grössere Kapuzen
Die Reformer verdanken den Namen der grösseren Kapuze. Während die Franziskaner zierliche Kapuzen an ihrer Kutte tragen, kehrten die ersten Kapuziner zur markanten Form zurück, die wandernde Brüder gegen Regen und Kälte schützte. Im Lauf der ersten Jahrzehnte verbreitete sich die Erneuerung trotz Widerstand des Mutterordens rasant über ganz Italien. Das Reformkonzil von Trient (1545-1563) sah in den zeitgleich aufkommenden Jesuiten kraftvolle Träger einer neuen katholischen Bildung und in den Kapuzinern Seelsorger, die als Wanderprediger die kirchliche Erneuerung bis in die entferntesten Dörfer trugen.
Ausbreitung in ganz Europa
Bis 1574 gelang es den Franziskanern, die Ausbreitung der Reform über Italien hinaus durch den Papst verbieten zu lassen. Zu gross war die Angst vor der Konkurrenz auch in anderen Ländern. Die Kardinäle Charles von Lothringen und Carlo Borromeo von Mailand schafften es dann doch, die Gründung erster Gemeinschaften nördlich der Alpen durchzusetzen. 1580 konnten bereits zehn kleine Klöster in Frankreich zu den Provinzen von Paris und Avignon erhoben werden, die schnell über den Norden und Süden des Landes expandierten. Zwei Jahre zuvor hatten erste Kapuziner in Spanien Fuss gefasst. 1581 wanderten fünf Brüder über den Gotthardpass und begannen, in der Innerschweiz zu wirken. Der junge Reformorden erwies sich schnell als wirksame Kraft in der kirchlichen Erneuerung der katholischen Gebiete wie auch im Zurückgewinnen evangelischer Territorien. Letzteres geschah im deutschen Sprachraum etwa im Appenzellerland, in den Herrschaftsgebieten der Habsburger, des bayerischen Erzherzogs und der Fürstbischöfe von Salzburg und am Rhein.
Volksseelsorger durch und durch
1600 zählte der Reformorden bereits rund 700 Klöster und 9000 Brüder. Knapp 100 Jahre nach Beginn der Reform anerkannte Papst Paul V. die Kapuziner als dritten Zweig im Franziskanerorden und erklärte deren Generalminister zum Nachfolger des heiligen Franziskus, gleich wie die zwei Generalminister an der Spitze der Konventualen und deren Reform, der braunen Franziskaner (Observanten). Während die schwarz gekleideten Konventualen vor allem in grossen Stadtkonventen lebten, wo sie bedeutende Kulturträger waren, und die Franziskaner sich zum bedeutendsten Missionsorden in Asien und Lateinamerika wandelten, widmeten sich die Kapuziner der Volksseelsorge. Sie spannten im 17. Jahrhundert ein flächendeckendes Netz von Klöstern über weite Gebiete des katholischen Europa, wanderten von ihren ländlichen Konventen als Prediger in die umliegenden Pfarreien, segneten Gehöfte und förderten die Religiosität des Volkes durch Kreuzwege, Bruderschaften und Andachten. Volksschriftsteller verfassten Katechismen zur Unterrichtung der Kinder, Gebetbücher und spirituelle Werke. Martin von Cochem (1634-1712), ein Volksmissionar aus dem Moselgebiet, schrieb religiöse Bücher für breite Kreise, die dreihundert Jahre lang Bestseller blieben.
Bettelorden ohne Lohn
Die besondere Volksnähe, die Kapuziner bis heute mit Menschen aller Schichten verbindet, verdanken sie nicht nur ihrer Seelsorgearbeit, sondern auch ihrer Armut. Als Bettelorden arbeiteten die Brüder ohne Lohn und durften dafür das Lebensnotwendige in den Dörfern von Haus zu Haus und auf dem Land von Hof zu Hof erbitten. Das brachte sie bis ins späte 20. Jahrhundert in die alltägliche Lebenswelt der Menschen. Brüder sassen am Küchentisch bürgerlicher und bäuerlicher Familien, traten in fürstliche Schlösser ebenso wie in ländliche Ställe und teilten die Freuden und Sorgen Armer wie Reicher. Seit ihren Anfängen standen Kapuziner in Pestzeiten den Erkrankten bei, während Behörden, Seelsorger und Angehörige flohen. In italienischen Städten dienten die ersten Brüder in den «Spitälern der Unheilbaren». Kranken- und Spitalseelsorge blieb bis in die Gegenwart einer ihrer Schwerpunkte. Bis zur Abschaffung der Todesstrafe begleiteten Brüder in vielen Ländern auch Verurteilte zum Galgen.
Soziale Pioniere
Über Jahrhunderte haben Kapuziner an ihren Klosterpforten mittags und abends Mittellosen kraftvolle Suppen und Brot ausgegeben: eine Praxis, die vielerorts bis heute besteht und die in zeitgemässen Formen weiterlebt. So verpflegt etwa das Citykloster in der Bankenstadt Frankfurt jeden Morgen 170 Obdachlose und Armutsbetroffene in seinem «Franziskustreff». Die Mailänder Kapuziner geben zusammen mit 1000 Volontären in der Opera San Francesco täglich bis zu 2500 Mahlzeiten aus und bieten Menschen in prekärer Lebenslage auch eine Duschgelegenheit, neue Kleider und Beratung durch Sozialarbeitern. Bereits unter dem Sonnenkönig Louis XIV. organisierten die Kapuziner in Paris und verschiedenen französischen Städten die Feuerwehr. In der Schweiz wurde der Bündner Kapuziner zum Sozialapostel im Zeitalter der Industrialisierung. In Deutschland gründete der Kapuziner Cyprian Fröhlich 1889 mit dem Seraphischen Liebeswerk eines der grössten Sozialwerke für Kinder, und die Schweizer Caritas verdankt ihre Gründung 1901 dem Kapuziner Rufin Steimer.
Missionsarbeit folgte erst spät
Im Gegensatz zum Mutterorden der Franziskaner, die bereits 1294 mit der Mission in Asien begangen, zwei Jahrhunderte später mit Kolumbus in die «Neue Welt» reisten und unter dem Eroberer Hernán Cortés eine indianische Kirche in Mexiko aufzubauen begannen, setzt das breite Engagement der Kapuziner in der Weltmission spät ein. Im nordamerikanischen Louisiana wirkten französische Brüder ab 1622 vierzig Jahre, bis Spanien das Gebiet übernahm. In die Karibik gelangte der Orden 1633 und verteidigte die indigene Bevölkerung gegen Übergriffe der Kolonialmächte. Erste Missionen in Afrika und Asien sind ab 1637 greifbar. Frühe Versuche in Guinea, Senegal und Kapverden sowie in Indien scheiterten nach wenigen Jahren am Klima oder an den Kolonialherren. Von langer Dauer war die kurz darauf übernommene Mission in Kongo und Angola sowie in Brasilien und Venezuela. Die grosse Zeit der Kapuzinermission brach jedoch erst im Laufe des 19. Jahrhunderts an. Der Aufschwung erstaunt, da Repressionen gegen die religiösen Orden seit der Aufklärung, landesweite Klosterschliessungen im Zuge des Josephinismus, der französischen Revolution, der italienischen Einigung und der Kulturkämpfe auch den Kapuzinerorden drastisch reduzierten. Zählte dieser im Jahr 1761 über 34’000 Brüder, schwand die Zahl bis 1883 auf einen Fünftel. Kurz vor Mitte des 19. Jahrhunderts eröffnete der Orden in Rom das Missionskolleg San Fedele. Die Ausbildungsstätte liess neue Missionen in Äthiopien und auf den Seychellen aufblühen und ermöglichte den Aufbau von Missionen in neuen Ländern Lateinamerikas, während ein Neuanfang in Indien von Jesuiten vereitelt wurde.
Aufschwung im 20. Jahrhundert
Unter dem Schweizer Generalminister Bernard Christen, der den Orden 1884-1908 leitete, stieg die Zahl der Brüder wieder über 10’000. Neben der Missionsbegeisterung sorgte die Gründung von Mittelschulen und Seminarien für volle Noviziate. Die Schweizer Provinz wuchs in wenigen Jahrzehnten zur zahlenmässig grössten des Ordens und wies um 1965 über 800 Brüder auf. Eine bedeutende Zahl von ihnen wirkte in den Missionsgebieten Tansania, Seychellen, Tschad, Indonesien und Peru. Aktuell gibt es weltweit knapp 10’000 Kapuziner, Novizen mitgezählt, in 109 Ländern. Die Grafik zum Jahr 2023 zeigt, dass die Zukunft des Ordens in Afrika und Asien liegt.