Kapuziner in Europa
Die Kapuziner in Europa stehen vor einem Umbruch. Br. Marek Miszczyński aus der Gesamtleitung in Rom sagt, wo die Herausforderungen liegen und warum ein Leben als Kapuziner attraktiv ist.
Br. Marek, Sie sind in der Ordensleitung weltweit verantwortlich für die Kapuziner in Nord- und Osteuropa. Was ist Ihr Job?
In erster Linie geht es darum, die Gemeinschaften und ihre Brüder zu besuchen. Ich möchte sie im Glauben zu stärken, so dass wir gemeinsam, ich schließe mich da ein, wachsen können. Das geht vor allem durch persönliche Begegnungen und Gespräche. Ich will die Realität vor Ort kennen lernen und diese nach Rom tragen, um gemeinsam mit der Leitung die richtigen Schritte zu unternehmen.
Wo kommen Sie hier?
Vor meiner Wahl zum Rat auf unserem letzten Generalkapitel war ich Provinzial einer polnischen Provinz, in Krakau. Zuvor hatte ich in verschiedenen Aufgaben mit Ausbildung zu tun.
Wie sind Sie Kapuziner geworden?
Das habe ich meiner damaligen Freundin zu verdanken (lacht). Sie hat mich auf den franziskanischen Weg gelenkt, mir ein Buch über den heiligen Franziskus geschenkt. Nach der Lektüre dieses Buches wusste ich: Ich will werden wie Franziskus. Das war mein Ziel.
Warum sind Sie heute gerne Kapuziner?
Es macht mich glücklich! Es geht um gelebte Geschwisterlichkeit. Ich habe Zeit, die ich mit Gott im Gebet verbringen kann. Es ist ein Geschenk, dass ich das nicht alleine leben muss. Wir sind nicht viele und besitzen nicht viel, aber gemeinsam sind wir auf dem Weg. Das tut mir gut.
Im letzten Jahr mussten Sie ihre Aufgabe als Provinzial verlassen und für ihre neue Aufgabe von Krakau nach Rom ziehen: Wollten Sie dahin?
Diese Frage stelle ich mir nicht. Ich nehme die Aufgabe wahr, die meine Brüder und Gott für mich vorsehen. Ganz persönlich würde ich mir einen kleinen, einsamen Ort zum Leben und Beten wünschen. Aber Rom ist schön, ich kenne es auch gut, denn ich habe dort studiert. Somit war ich schon vertraut mit dem italienischen Lebensgefühl (lacht).
Sie sagen, eine ihrer Aufgaben ist es, durch Besuche vor Ort die franziskanische Realität in Europa besser zu erfassen. Wie sieht diese Realität aus?
Sie ist nicht überall gleich und es gibt Unterschiede. Aber die Richtung ist klar, wir sprechen über Säkularisierung. Der Glaube ist noch da, aber auf dem Rückzug. Die Berufungen gehen überall zurück, auch in meinem Heimatland Polen.
Deprimiert sie das?
Nein. Denn ich sehe auch Zeichen der Hoffnung. Ich treffe Brüder, auch junge, die ihr Leben mit Ernsthaftigkeit leben, die glücklich sind. Sie sagen mir: Ich kann das Evangelium leben, das macht mich zufrieden. Das gibt mir Hoffnung. Hoffnung, dass es weitergeht.
Was macht die Säkularisierung mit Ihnen?
Wissen Sie, der junge Josef Ratzinger hat mal gesagt: Wenn die Kirche Privilegien und Bedeutung verliert, dann ist das auch eine Chance. Eine Chance, kleine Gemeinschaften mit authentischem Leben zu schaffen und damit zu Orten der Hoffnung zu werden.
Wofür stehen denn die Kapuziner in Europa?
Und kapuzinisches Charisma ist klar: Ein brüderliches Leben in Kontemplation und Einfachheit. Mit einer Nähe zu den Menschen. Das ist es, das ist unser Fundament.
Ist das ein Ziel oder die Realität?
Ich sehe es an vielen Orten unseres Ordens, aber natürlich in unterschiedlicher Intensität und Authentizität. Das hängt von den Brüdern ab, aber natürlich auch von den historisch gewachsenen Aufgaben. Wir haben oft zu viele Aufgaben, die aus der Vergangenheit rühren, und die verhindern, dass wir uns konsequent auf das ausrichten, was uns ausmacht.
Was braucht es da, um das zu ändern?
Wir müssen den Mut haben, Orte und Strukturen zu verlassen. Damit wir mehr Möglichkeiten haben, unser Leben zu leben. Ich habe eben von den authentischen, kleinen Gemeinschaften gesprochen: Das müssen wir umsetzen. Um ein Zeichen der Hoffnung für andere zu sein.
Ist auch das Internet einer dieser Orte?
Ja, wir brauchen auch Missionare im Netz. Wir müssen dort präsent sein. Aber das klappt nur, wenn wir authentisch in der Realität leben. Beides gehört zusammen.
Warum sollte ein junger Mann heute Kapuziner werden?
Zuerst möchte ich sagen: Es ist eine Berufung. Es ist Gott, der ruft. Das ist das Erste. Und doch gibt es natürlich auch noch viele andere Dinge, die dafür sprechen, sich für diesen wunderbaren Weg zu entscheiden.
Welche Dinge?
Das geschwisterliche Leben, mit dem wir unsere Berufung gemeinsam erfüllen, ist attraktiv. Vor allem in einer Zeit, in der in Gesellschaft und in Familien soviele Beziehungen in die Brüche gehen. Viele Menschen leben allein, sie fühlen sich allein. Wir bieten an, in einer brüderlichen Gemeinschaft echte Beziehung zu leben. Das ist oft anstrengend, aber das Ergebnis ist wunderbar. Ein weiterer Aspekt ist die Kontemplation. Die Welt wird immer schneller. Wir bieten die Möglichkeit, anzuhalten. Innezuhalten. Über sein Leben und den Sinn darin nachzudenken. Ich könnte hier noch viele weitere Argumente aufzählen (lacht).
Machen Sie das!
In einer Welt, in der Geld, Gesundheit und Status wichtig ist, bieten wir Einfachheit. Es gibt Dinge, die sind wichtiger als Geld, Dinge, die wirklich glücklich machen. Und noch ein Punkt, der mir persönlich sehr wichtig ist: Ich kann als junger Mann aus meinem Leben ein Geschenk an andere machen. Ich kann dienen, etwas für andere geben. Das ist doch wunderbar!
Warum wird dieses attraktive Angebot immer seltener wahrgenommen?
Ich lade ein. Ich sage jedem jungen Mann: Komm und sieh es Dir an.
Zum Abschluss noch ein Wort über die Strukturen der Kapuziner in Europa: Wie sieht das kapuzinische Leben auf dem Kontinent in 15 Jahren aus?
Wir werden weniger europäische Brüder haben, aber sicher mehr Brüder aus anderen Teilen der Welt. Die Gemeinschaften werden internationaler.
An welchen Orten werden diese Brüder leben, haben Sie da eine Idee?
Ja, die habe ich. Wir sind dabei, eine Art Landkarte von Europa zu erstellen und zu überlegen, an welchen Orten wir authentisch leben wollen und können. Damit wir Orte der Hoffnung in einer säkularisierten Welt sein können. Ich sehe dazu eine Bereitschaft in unserer Gemeinschaft – überall in Europa, auch im Osten. Wir gehen es an!
Br. Marek, vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Tobias Rauser auf https://www.kapuziner.org/kapuziner-in-europa-marek-miszczynski/
