Kapuziner Apollinaire Dellion
Aus: Freiburger Nachrichten, Adrian Holderegger, Kapuziner, 31. August 2024.
Prägende Figur der Religionsgeschichte.
Der Kapuziner Apollinaire Dellion verfasste ein einzigartiges Nachschlagewerk über 100 Pfarreien im Kanton Freiburg.
Damit wollte er eine Ergänzung zur kantonalen Dokumentensammlung schaffen.
Freiburg Im Januar 1871 überschritten
im Jura mit Einverständnis
der Landesregierung mehr als
87’000 Soldaten die Schweizer
Grenze. Das war die grösste Migration,
die die Schweiz je gesehen
hatte. Die geflüchteten Soldaten
der Bourbaki-Armee hatten
1870 im Deutsch-Französischen
Krieg eine Niederlage erlitten.
Der Bundesrat verteilte die Internierten
auf die Kantone.
4240 Soldaten wurden Anfang
Februar im Kanton Freiburg
untergebracht, etwa 2000 davon
in der Stadt Freiburg und Umgebung.
In aller Eile wurde das alte
Bad in den Neiglen hergerichtet,
wo vor allem jene Soldaten eine
Unterkunft fanden, die an ansteckenden
Krankheiten wie Typhus
und Pocken litten.
Der Freiburger Kapuziner
Apollinaire Dellion wurde mit
der Seelsorge für die Kranken
betraut. Er soll in bewundernswerter
Fürsorge 81 von ihnen in
den Tod begleitet haben.
Leidenschaft für Geschichte
Zu jener Zeit war der Kapuziner
vor allem für seine akribische
Forschung zu den Pfarreien im
Kanton Freiburg bekannt. Apollinaire
Dellion, er trug den bürgerlichen
Vornamen Jean-Joseph-Valentin
und war auch als Jean Dellion
bekannt, wurde am 10. Februar
1822 in La Joux bei Romont
als sechstes Kind in eine Grossfamilie
hineingeboren. Er war Sohn
des Valentin Dellion, einem Gerber,
und der Anne Jorand aus
Rue.
Der Kleine fiel bald durch
seine intellektuellen Fähigkeiten
und seine unersättliche Wissbegier
auf. Seine Eltern entschieden
sich daher, ihn in die Schule
von Romont zu schicken. Dort
bekam er nicht bloss Lateinunterricht,
er wurde auch in die Literatur
und Geschichte eingeführt.
Der Domherr Nicolas Lhoste,
der sich nach der Aufhebung der
Abtei Belleley im Berner Jura in
Romont um 1810 niedergelassen
und das «Petit Collège» errichtet
hatte, mag den jungen Dellion
besonders beeindruckt und
die Passion für die Geschichtsforschung
grundgelegt haben. Als
ehemaliger Archivar von Belleley
kannte er sich nicht nur in der
Geschichte aus, sondern auch
in der Archivistik, in der Erforschung,
Organisation und Verwaltung
von Dokumenten. Die
Obrigkeit vertraute ihm deshalb
die Neuorganisation der Archive
von Romont an.
Vom Kulturkampf geprägt
Ab 1838 besuchte Dellion das Jesuitenkollegium
St. Michael – wo
er auch aus nicht mehr bekannten
Gründen seinen Vornamen
Jean zu Philippe wechselte. Nach
Abschluss der Mittelschule trat
er 1841 in den Orden der Kapuziner
ein, wo er im Kloster an
der Murtenstrasse sein Noviziat
absolvierte. Ein Jahr später legte
er die Ordensgelübde unter dem
Namen Apollinaire ab und wurde
1848 zum Priester geweiht. Zuvor
hatte er in den Klöstern von
Solothurn, Luzern und Schwyz
seine theologischen Studien abgeschlossen.
Der Beginn seiner pastoralen
und wissenschaftlichen Arbeit
fiel in eine Zeit harter
weltanschaulicher Auseinandersetzungen
zwischen den Konfessionen.
Sie erreichten einen ersten
Höhepunkt im Sonderbundkrieg
von 1847. Es war die Zeit
des Kulturkampfs – der Auseinandersetzung
zwischen dem konservativ-
katholischen und dem liberal-
radikalen Lager. Der Konflikt
fand Mitte 1870 seine Fortsetzung.
Er war ein Brückenbauer
Dieser Kontext prägte das Engagement
von Pater Apollinaire.
So wird später berichtet, dass
er in seinen Predigten vor allem
versuchte, die Wunden, welche
die radikal-liberale Regierung
während der acht Jahre Regentschaft
bis 1856 durch ihren
scharfen Antiklerikalismus geschlagen
hat, zu heilen. Als umsichtigen,
klugen Prediger soll
es ihm gelungen sein, Brücken
zwischen den ehemals verfeindeten
Lagern zu schlagen. Denn
die schweren kirchenpolitischen
Erschütterungen haben das gesellschaftliche
und kirchliche Leben
auch im Kanton nachhaltig
geprägt und den gesellschaftlichen
Zusammenhalt erheblich erschwert.
Dellion hielt während seiner
Freiburger Aufenthalte zweimal
den wichtigen Posten des Stadtpredigers
in der Kollegiatskirche
von St. Niklaus inne. Selbst, als
er Oberer des Walliser Klosters
Saint-Maurice war, wurde er
zum offiziellen Prediger an der
Abtei ernannt.
Hauptwerk zu Pfarreien
Leitstern seiner Geschichtsforschung
und Archivarbeit war
die Vergewisserung der katholisch
geprägten Vergangenheit
des Kantons. Diese wollte er
über all die Wirren des Kulturkampfs
hinaus als starke Erinnerung
in die Zukunft retten. Apollinaire
Dellions Hauptwerk ist der
zwölfbändige «Dictionnaire historique
et statistique des paroisses
catholiques du canton de Fribourg
», der etwa 3000 Seiten
umfasst.
Es war ihm nicht mehr vergönnt,
die beiden letzten Bände
selbst zu publizieren, da ihn der
Tod ziemlich überraschend mit
77 Jahren ereilte. 1929 hat Pierre
de Zurich ein umfangreiches
Repertoire zum Dictionnaire verfasst.
Ein Referenzwerk bis heute
Vorbild für seine Dokumentensammlung
war der «Dictionnaire
géographique, statistique et historique
du canton de Fribourg».
Dellion schreibt dazu im Vorwort
seines Kompendiums: «Je
présente aujourd’hui un complément
à cet ouvrage», indem er
ein Kompendium der etwa hundert
Freiburger Pfarreien vorlegt.
Er fügt aber gleich hinzu, dass
es sich hierbei nicht um kleine
geschichtliche Monografien zu
den einzelnen Pfarreien handelt,
sondern um ein Nachschlagewerk
zu Fakten, Dokumenten,
Kurzbeschreibungen und Kunstgegenständen.
Sie sollen einer
ersten Information dienen und
als Basis für eine umfassende
Geschichtsschreibung genutzt
werden können. Dieses monumentale
Kompendium ist bis heute
Referenzwerk für alle geblieben,
die sich mit der Geschichte
der Pfarreien beschäftigen.